Literaturanalyse

Kenntnisse über die wissenschaftlichen Publikationsformen helfen, sich in der Fachliteratur zurechtzufinden. Bei der Literaturanalyse sind zudem Exzerpte und Zusammenfassungen hilfreich. Eigene Ordnungssysteme oder professionelle Datenbanken ermöglichen, dauerhaft auf die erworbenen Informationen und Erkenntnisse zurückzugreifen.

Das wissenschaftliche Lesen ist eine aktive Wissensaufnahme und -verarbeitung. Um sich Wissen anzueignen, müssen neue Informationen in Bezug zu bereits vorhandenen Erkenntnissen gesetzt werden. Zur Verarbeitung der Informationen braucht es deshalb eine organisierende Perspektive. Ziel des Lesens ist folglich, neues relevantes Wissen - eine Geschichtstheorie, Begriffe oder Fakten – gezielt zu verorten. Dies kann mit konventionellem methodischem Lesen erreicht werden oder mit spezifischen Lesetechniken. Allgemeine und individuelle Lesetechniken sollten im Verlauf des Studiums erarbeitet werden.

Wissenschaftliches Lesen wird von den Fragen geleitet, die wir an einen Text stellen, und kann mit schriftlichen Bearbeitungsformen wie Exzerpten, Zusammenfassungen oder Visualisierungen (Schemata, Mind-Maps) kombiniert werden, die dazu dienen, Erkenntnisse mittel- und langfristig zu sichern.

Grundsätze des wissenschaftlichen Lesens

Beim wissenschaftlichen Lesen ist es wichtig, dass sich die oder der Lesende aktiv mit einem Text auseinandersetzt, statt nur dessen Informationen zu registrieren. Aktives Lesen ist ein bewusster Prozess, der eine Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung eines Textes beinhaltet. Dabei können auch Instrumente wie Unterstreichen, Notizen am Rand, farbige Markierungen, Balken oder Zeichen bzw. die Pendants in digitalen Formaten hilfreich sein.

Des Weiteren zielt wissenschaftliches Lesen darauf hin, möglichst effizient zu sein. Effizienz heisst, dass Aufwand und Ertrag in einem optimalen Verhältnis stehen. Genaues Lesen erfordert viel Zeit und ist dann angebracht, wenn sich ein Text gleichzeitig als hochrelevant und sehr komplex herausstellt. Trifft dies nicht zu, können Texte schneller bearbeitet oder vielleicht sogar nur diagonal gelesen werden. Auch ein wiederholtes zügiges Lesen kann unter Umständen effizient sein.

Bei der Vorbereitung eines Textes müssen dessen wichtigste Eckpunkte erfasst werden: Gibt er Auskunft über die Fachgebiete und das wissenschaftliche Umfeld der Autorin oder des Autors? Wann ist der Text erschienen? Welches ist die Publikationsform: Ist der Text als Monografie, in einem Sammelband oder in einer Zeitschrift erschienen, gehört er einer wissenschaftlichen Reihe an? Anschliessend muss die Textsorte eruiert werden: Handelt es sich um einen Aufsatz, ein Kapitel oder eine Einleitung? Diese Angaben geben uns Hinweise darauf, wie wir einen Text verorten und was wir von ihm erwarten können.

Bei der Durchführung der Lektüre stellt sich die Frage, welche Informationen darin relevant sind und welche nicht. Ausschlaggebend für diese Gewichtung sind die eigene Perspektive und die eigenen Erkenntnisziele. Wenn wir nur an einem Teil des Textes interessiert sind, ist der Rest des Textes möglicherweise irrelevant. Dies setzt aber voraus, dass der entsprechende Textausschnitt auch losgelöst von der Argumentation der Studie verständlich ist.

Bei der Nachbereitung einer Lektüre gilt es zu prüfen, ob die eigenen Fragen an den Text beantwortet sind und ob generell die Ziele der Lektüre erreicht wurden. Eine kurze Zusammenfassung kann sicherstellen, dass die wichtigsten Punkte des Textes erfasst worden sind. Schliesslich müssen die Zusammenfassung und Exzerpte ins eigene Ordnungssystem oder in eine Datenbank überführt werden.

Spezifische Lesetechniken

Lesende können nach den Grundsätzen des wissenschaftlichen Lesens individuelle Methoden entwickeln, um verschiedenen Lektüresituationen in optimaler Weise gerecht werden. Sie können sich aber auch an bestimmten Lesetechniken orientieren wie etwa der SQ3R-Methode, die Francis P. Robinson 1946 entwickelte und die in vielen Studien-Ratgebern beschrieben ist:

SQ3R-Methode

S (Survey) = Orientierung, Überblick gewinnen

Q (Question) = Fragen stellen

R (Read) = Lesen

R (Recite) = Rekapitulieren

R (Review) = Rückblick

Die folgenden Fragen an einen Text können bei der Lektüre und Bearbeitung des Textes als Leitplanken dienen, um die wichtigsten Aspekte eines Textes zu erfassen.

Erkenntnisziele, Publikation und Autorschaft

  • Was will ich von einem Text wissen?
  • Stimmen das Veröffentlichungsdatum, die Publikationsform und Textsorte mit meinen Erwartungen überein?
  • Wie passen meine Erwartungen zum wissenschaftlichen Profil der Autorin bzw. des Autors?

Argument und Gliederung

  • Fragestellung: Was will die Autorin oder der Autor näher untersuchen und erfahren?
  • Gliederung: Wie ist der Artikel aufgebaut? Gibt die Gliederung Auskunft über den Verlauf des Arguments? Häufig werden die Argumente durch eine These, eine Analyse und eine Schlussfolgerung strukturiert.

Empirische und theoretische Grundlage

  • Welche Arten von Quellen wurden verwendet (Fussnoten, Quellenverzeichnis)?
  • Aus welchem Forschungsfeld stammt die verwendete Literatur (Literaturverzeichnis)?
  • Welche theoretischen und methodischen Zugänge wurden gewählt (einleitende Abschnitte)?

Wichtigste Erkenntnisse

  • Ist die Argumentationsweise nachvollziehbar; gäbe es alternative Argumentationsweisen?
  • Welches sind die wichtigsten Resultate des Artikels? Sind sie nachvollziehbar?

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem Text bedingt manchmal, dass er schriftlich aufbereitet wird. Dabei sind Exzerpte und die Zusammenfassungen hilfreich. Nicht jede Studie kann aber schriftlich bearbeitet werden; entscheidend ist zunächst, ob sie im eigenen Forschungsinteresse liegt und relevante Informationen beinhaltet. Sodann muss abgewogen werden, ob die schriftliche Bearbeitung für das jeweilige Vorhaben ein effizientes Mittel ist. Damit Zusammenfassungen und Exzerpte längerfristig verfügbar bleiben, müssen sie in einem persönlichen Ordnungssystem oder in einer professionellen Datenbank abgelegt werden.

Zusammenfassung

Bei der Zusammenfassung von Studien ist es aus Effizienzgründen wichtig, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Bei kurzen Zusammenfassungen kann man sich an der Textsorte des Abstracts orientieren, die in Zeitschriften gebräuchlich ist. Eine Zusammenfassung wiedergibt die zentralen Punkte eines Textes: Das Thema, die Fragestellung, die methodische Vorgehensweise, das theoretische Konzept, den wissenschaftlichen Kontext und die wichtigsten Ergebnisse.

Exzerpt

Exzerpieren heisst, aus einem Text oder einer Quelle diejenigen Informationen herauszuschreiben, die im Zentrum unseres Erkenntnisinteresses liegen. Wenn wir Texte in Hinblick auf gewisse Aspekte lesen, entsteht ein partielles Exzerpt, das sich stark von anderen Exzerpten zum gleichen Text unterscheiden kann. Das Exzerpt folgt dem Lauf des Texts und hält die Seitenzahlen der exzerpierten Textpassagen fest, um deren Zitierbarkeit sicherzustellen. Es soll auch die Struktur der bearbeiteten Studie wiedergeben. Da die einzelnen Textstellen mit einem Exzerpt von ihrem Kontext isoliert werden, ist darauf zu achten, dass dabei nicht deren Aussage verändert wird. Im Exzerpt müssen wörtliche Zitate mit Anführungszeichen von Paraphrasen unterschieden werden. Je nach Kenntnisstand und Wissensbedarf können Exzerpte unterschiedlich ausgeführt werden:

Vollständiges Exzerpt

Ein ausführliches Exzerpt bearbeitet einen Text vollumfänglich. Es wird erstellt, wenn über das Thema des Textes nichts oder nur sehr wenig bereits bekannt ist, das im Text präsentierte Wissen aber als sehr relevant eingeschätzt wird. Ein solches Exzerpt kommt nicht nur in der Grundstufe des Studiums zum Einsatz, sondern auch bei späteren Arbeiten, wenn der Wissensstand und das Wissensbedürfnis dies erfordern.

Argumentations-Exzerpt

Beim Argumentations-Exzerpt wird der Aufbau des Textes festgehalten, um die Argumentationsweise der Autorin bzw. des Autors kritisch nachzuvollziehen. Ein solches Exzerpt ist bei einer profunden Textkritik notwendig.

Textnotiz

Wo kein eigentliches Exzerpt notwendig ist, kann eine Studie auch mit einer kurzen Notiz beschrieben und im eigenen Ordnungssystem abgelegt werden.

Was gehört in ein vollständiges Exzerpt?

  1. Fragestellung der Studie
  2. Gliederung des Textes
  3. Argumentationsverlauf und zentrale Thesen
  4. Zentrale Begriffe und Definitionen
  5. Für den Exzerpierenden relevante Ereignisse, Strukturen, Personen und Fakten
  6. Eventuell zusätzliche, recherchierte Erläuterungen zu Begriffen und Fakten, die im Text nicht ausreichend erklärt sind
  7. Eventuell eigene Kommentare und Fragen zum Gegenstand

Beispiel für ein ausführliches Exzerpt:

Christoph Auffarth: Die Ketzer. Katharer, Waldenser und andere religiöse Bewegungen. München 2005, Kap. 5: «Erlöschen oder Erwürgen: Das Ende der Katharer, die Waldenser und der Aufstieg der Bettelorden», S. 84-108. Exzerpt von Seite 84:

  • Vernichtung der Katharer
  • Katharer waren grösste religiöse Bewegung des Mittelalters.
  • Sowohl die Papstkirche als praktizierte Herrschaftsform, als auch die Katharer als andere Religion und eigene Institution gewannen im Kampf miteinander beide an Profil.
  • Auch wenn Katholizismus (hier: das mittelalterliche von der römisch-päpstlichen Kirche geprägte Christentum) und Katharertum als zwei Konfessionen bezeichnet werden könnten, ist religionswissenschaftlich die Bezeichnung von zwei „Religionen“ korrekt.
  • Drei Stadien der Trennung der Wege und der Ausdifferenzierung zweier Religionen: 1) Katharer zunächst Sammelbezeichnung für antiklerikale Reformbewegungen; 2) dann eigene Rituale der Katharer zur Abgrenzung; 3) Katholiken und Katharer mit unterschiedlicher Doktrin: Katholiken: Lehre vom Fegefeuer; Katharer: Schöpfungsmythos als Kampf des guten Gottes gegen den bösen Gott, welcher ein Spiegel des Kampfes der guten Menschen (boni homines) gegen die bösen Katholiken ist. Erst in dieser Phase spielen auch Missionare aus dem Osten eine Rolle.

Ein weiteres Beispiel zeigt ein etwas weniger ausführliches Exzerpt.

Bei der Bearbeitung eines historischen Themas erwerben wir viele Texte, Exzerpte, Quellen, Notizen usw. Diese Dokumente müssen sowohl für das laufende Projekt als auch in späteren Momenten des Geschichtsstudiums zur Verfügung stehen. Es ist normal, im Verlauf des Studiums den Überblick über die gelesenen Texte zu verlieren. Die strukturierte Ablage von Notizen und Informationen dient deshalb in erster Linie der Dokumentation der eigenen Arbeit, um diese später wieder nutzbar machen zu können. So kann verhindert werden, dass der gleiche Text mehrmals neu bearbeitet wird. Dass die Dokumente zumeist in digitaler Form angelegt sind, erleichtert deren systematische Ablage erheblich. Dafür gibt es zurzeit zwei Varianten: Einerseits der Aufbau eines persönlichen Ordnungssystems, das sich aus digitalen Ordnern zusammensetzt, andererseits der Gebrauch eines Literaturverwaltungsprogramms.

Eigene Ordnungssysteme

Ein persönliches Ordnungssystem auf dem Computer kann ermöglichen, dass Dokumente jederzeit auffindbar sind. Beim Aufbau einer Ordnerstruktur muss zunächst ein Ordner zum jeweiligen Projekt angelegt werden: Zu einem (Pro)Seminar, einer Vorlesung oder einer wissenschaftlichen Arbeit. In der Folge können innerhalb des Projektordners weitere Ordner angelegt werden, die sich nach der Dokumentsorte definieren: Forschungsliteratur, Quellen, Bibliografien, selbst erstellte Arbeitsdokumente usw.. Es ist wichtig, die einzelnen Dokumente sorgfältig und einheitlich zu beschriften. Wenn das Projekt abgeschlossen ist und der Ordner nicht mehr benötigt wird, können die entsprechenden Dokumente und Ordner in Sammelordner wie zum Beispiel „Texte Geschichtsstudium“, „Wissenschaftliche Arbeiten“ oder „Exzerpte“ überführt werden.

Literaturverwaltungsprogramme

Literaturverwaltungsprogramme erleichtern die Verwaltung wissenschaftlicher Dokumente und unterstützen das Erstellen einer wissenschaftlichen Arbeit. Literaturverwaltungsprogramme weisen eine Einstiegshürde auf: Man muss sich in die spezifische Funktionsweise einarbeiten. Danach aber sind sie zeitsparend; vor allem beim Erfassen von bibliografischen Angaben, beim Suchen nach Exzerpten und beim Zitieren und Erstellen von Bibliografien.

Es gibt eine Vielzahl von Literaturverwaltungsprogrammen. Einen ersten Überblick dazu sowie Informationen zu Einführungskursen bietet die Universitätsbibliothek Basel an. Präzise Anleitungen zu den Literaturverwaltungsprogrammen Zotero und Citavi werden von Infoclio.ch zur Verfügung gestellt.

Bei der Verwaltung von wissenschaftlichen Dokumenten ermöglichen die Literaturverwaltungsprogramme einen gezielten Aufruf von Dokumenten mittels Schlagworten. Letztere bewirken, dass ein Dokument nicht nur auf einem Weg aufrufbar ist wie bei in einem Ordnersystem, sondern je nach Bedürfnis in unterschiedlichen Gruppierungen. Indem Literaturverwaltungsprogramme eine Struktur vorgeben, erleichtern sie die Dokumentenablage. Bibliografische Angaben zu neuen Texten können direkt aus den Bibliothekskatalogen importiert werden.

Bei wissenschaftlichen Arbeiten unterstützen Literaturverwaltungsprogramme das Setzen von Fussnoten und das Erstellen von Bibliografien. Sie importieren die bibliografischen Angaben zu den zitierten Publikationen. Der Zitationsstil kann für jede wissenschaftliche Arbeit neu bestimmt und in der Folge auch geändert werden.