Die Repräsentation der Industrialisierung in den fotografischen Bildwelten des Zarenreichs

Projektverantwortliche: Lenka Fahrenbach, Basel

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte sich sukzessive das Antlitz russischer Städte. Hatten bis zu diesem Zeitpunkt zumeist die Kuppeln orthodoxer Kirchen die Stadtsilhouetten dominiert, prägten nun immer öfter rauchende Schornsteine die Panoramen. Die Veränderungen, welche die Industrialisierung hervorrief, dokumentierten die Zeitgenossen mit einer neuen Abbildungstechnik – der Fotografie.

Anders als in England oder in Belgien entwickelten sich Industrialisierung und Fotografie im Zarenreich relativ parallel. In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich die Schnittstelle dieser beiden Entwicklungen und frage nach den Wechselwirkungen zwischen beiden Bereichen.
Die Verbindung von Industrialisierung und Fotografie lässt sich besonders gut anhand von Fabriken untersuchen. Ich will untersuchen, wie russische Firmen die Fotografie für ihre Interessen nutzten. Dabei ging es den Fabrikanten zum einen darum, sich in Alben oder Festschriften besonders positiv darzustellen. Zum anderen erfüllten die Bilder eine interne Funktion, indem sie die Identifikation der Belegschaft mit dem Betrieb stärken sollten. Die Industrialisierung betraf jedoch mehr Menschen als nur Fabrikanten und ihre Angestellten. Elektrische Beleuchtung, Straßenbahnen oder die Eisenbahn veränderten den Alltag. Tagtäglich waren die Menschen mit diesen Neuerungen konfrontiert. Die Fotografie half dabei, sich ein Bild vom tiefgreifenden Wandel der Lebensbereiche zu machen und diese Eindrücke in eine visuelle Ordnung zu bringen.

Anhand von illustrierten Zeitschriften, Postkarten, Reiseführern und Enzyklopädien wird  herausgearbeitet, ob und wenn ja, wie, Industrie und Industrialisierung in den Bildwelten des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts präsent waren. 
Schließlich stellt die Arbeit die Frage nach der Übersetzbarkeit dieser sich entwickelnden Bilddiskurse. Anhand von Ausstellungskatalogen wird der Frage nachgegangen, mittels welcher Bilder sich beispielsweise russische Industrielle bei dieser Gelegenheit darstellten. Ergänzend wird  untersucht, welches Bild des Zarenreichs in deutschen Zeitschriften vermittelt wurde. Handelte es sich um die Darstellung eines ausschließlich landwirtschaftlich geprägten Reiches, oder wurden auch Darstellungen von Fabriken und Produktionsstätten gedruckt?

Das Projekt knüpft an Forschungen aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte zur Industrialisierung an, deren Ergebnisse mit Ansätzen aus der visuellen Geschichte und der neuen Kulturgeschichte kombiniert werden.

Das Ziel des Forschungsprojekts ist es herausarbeiten, wie sich die enormen gesellschaftlichen Veränderungen in bildlichen Repräsentationen niederschlugen, die wiederum die Wahrnehmung der Menschen von dem tiefgreifenden Modernisierungsprojekt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert beeinflussten.

 

Das Plakat zum Projekt finden Sie hier.