Die Umbruchszeit der Aufklärung in der Schweiz, der Helvetischen Revolution und Napoleonischen Mediation werden oft als Vorgeschichte auf die Gründung des Schweizer Bundesstaats 1848 hin erzählt. Überblickswerke handeln Helvetik und Mediation als kurze Intermezzi eher knapp ab – oder klammern sie in Untersuchungen eines kurzen 18. (bis 1798) und kurzen 19. Jahrhunderts (ab 1815) sogar aus. Um jedoch die Übergangszeit zwischen den Jahrhunderten in den Fokus zu rücken und dabei längerfristige Prozesse zu berücksichtigen, die sich den oben genannten Periodisierungen entziehen, ist meine Untersuchung quer zu diesen angelegt: von der Verbreitung aufklärerischer Ideen im Schweizer Bürgertum ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur vorläufigen Stabilisierung gemäßigter Reformpolitik im Ausgleich mit den föderalen Kräften der Alten Eidgenossenschaft während der Mediationszeit.
Dadurch kommen über die Epochenschwelle hinweg sichtbar werdende Veränderungsprozesse in den Blick: Implementierungen aufklärerischer Ideen in soziopolitischen Realitäten, ökonomischer Wandel, beschleunigte Mobilität und Kommunikation sowie die Entwicklung einer breiteren gesellschaftlichen Öffentlichkeit verweisen außerdem auf transnationale Bezüge. Aus diesem Grund nimmt mein Projekt die transnationalen Einflüsse und Vernetzungen prägender Akteure der Helvetik und Mediation in den Blick.
Einen Schwerpunkt bildet die Untersuchung der intellektuellen und politischen Sozialisierung reformorientierter Teile der städtischen Elite. Sie erweitert die Geschichte politischer Eliten, aber auch die Ideengeschichte der Aufklärung um Elemente der sozialen Erfahrungsgeschichte und Mentalitätsgeschichte. Welche Einstellungen, Erfahrungen und generationellen Erlebnisse teilten die Söhne der alten Elite, die mit ihren (Bildungs-)Reisen den Ideenkosmos der Schweiz überschritten, in Reformgesellschaften an europäischen Aufklärungsdiskursen teilhatten und während Revolutionszeit, Helvetik und Mediation zu prägenden Akteuren des soziopolitischen Umbruchs wurden? Grenzten sie sich als in eine Aufbruchszeit geborene Generation von den Verteidigern der alten Eidgenossenschaft ab? Wie vernetzten sie sich innerhalb der der föderalen Schweiz und darüber hinaus zu einer politischen Öffentlichkeit, die das arkane Herrschaftswissen und die starren Rekrutierungsmechanismen des Ancien Régime herausforderte. Wie wirkten sich durch (Bildungs-)Reisen und Migration etablierte transnationale Vernetzungen der Reformer im Vergleich mit den alten Seilschaften und Loyalität der ebenfalls überregional und grenzüberschreitend agierenden reaktionären Kräfte durch Helvetik und Mediation hindurch aus?