Analysing Visual Representations of War: Examples from Russia and Yugoslavia

6. bis 7. Februar 2014

Historisches Seminar der Universität Zürich, Karl Schmid-Str. 4, 8006 Zürich, Raum KO2-F-152

International Exploratory Workshop 

Organisiert von Philipp Casula / Markus Mirschel, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Historisches Seminar, Universität Zürich und Nadine Freiermuth Samardžić, Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Departement Geschichte, Universität Basel.

Tagungsbericht Lenka Fehrenbach, Departement Geschichte, Universität Basel. Den Tagungsbericht finden Sie auch auf: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5300

 

Hier finden Sie das detaillierte Programm.

Den Flyer dazu finden Sie hier.

Im ersten, von ALEKSANDRA YATSYK (Kazan) kommentierten Panel ging es um unterschiedliche Methoden, mit Fotografien umzugehen. JENS JÄGER (Köln) skizzierte anschaulich, wie sich der Umgang mit Fotografien als Quellen in der Geschichtswissenschaft innerhalb der letzten 20 Jahre verändert hat. Fotografien hätten lange als „black box“ gegolten, weil sie immer der Anspruch vermittelt hätten, ein wirkliches Ereignis zu zeigen. Gerade in Bezug auf Kriege könnten Fotografien aber nie die Kriegswirklichkeit abbilden, sie verharmlosten den Krieg nur, weil Fotograf/innen Bilder meist für die Medien produzierten. Für alle Fotografien gelte, so Jäger, dass sie sich nicht vollständig in Sprache übersetzen ließen, schließlich sprächen Bilder die Betrachter gerade auch emotional an. Diese „black box“ hätten Historiker/innen als „Büchse der Pandora“ behandelt, weil sie vor der anscheinend besonders ausgeprägten Polysemie der Quellengattung zurückschreckten. Mehrdeutigkeit, sei aber keine Besonderheit von Fotografien. Sie funktionierten letztlich auch zumeist nach konventionellen Mustern, so der Vortragende. Es gelte zu entschlüsseln, welche Erwartungen die Betrachter an Bilder stellten, denen diese folglich entsprachen. Die Vorbehalte, mit denen die Geschichtswissenschaft Fotografien begegnete, führte Jäger darauf zurück, dass durch die Entwicklung des Faches bedingt Historiker/innen klassischerweise Philologen und Philologinnen seien und sich in der Quellenkritik auf Texte spezialisiert hätten. Mit einem Augenzwinkern stellte Jäger fest: Die „Büchse der Pandora“ sei seit 20 Jahren geöffnet und die Geschichtswissenschaft gebe es noch immer.

Auch bei der historischen Arbeit mit Fotografien müsse eine herkömmliche Quellenkritik den Anfang der Analyse bilden. Daran solle sich, so Jägers Vorschlag, die Suche nach der Grundaussage eines Bildes anschließen, wofür es unerlässlich sei, den kulturellen Kontext, in dem eine Aufnahme entstanden sei, in die Analyse einzubeziehen. Die konventionelle Bedeutung einer Fotografie erklärte Jäger als ein Set von Symbolen und Zeichen, die der Historiker beispielsweise aus Fotozeitschriften oder Enzyklopädien rekonstruieren könne. Auch wenn dies vielleicht teilweise banal erscheine, sehe er darin eine wichtige Basis, um später eventuelle mehrschichtige Bedeutungen zu entschlüsseln. Schließlich dürfe bei der Arbeit mit Fotografien nicht vergessen werden, dass diese so gut wie nie alleine stünden, sondern mit Texten verbunden seien.

PHILIPP CASULA (Zürich) fragte, wie Wissenschaftler/innen „visuelle Kulturen“ von Kriegen analysieren könnten und wie sie auf Kriegsbilder schauen sollten. Er interessierte sich besonders dafür, welche Geschichten Bilder über Krieg erzählten. Casula stellte ein von ihm entwickeltes methodisches Instrumentarium vor, mit dem er sich Fotografien nähert. Er griff dafür zum einen das Konzept Roland Barthes der „denotation“ – des Abgebildeten – und der „connotation“ – der Bedeutung von Bildern – auf. Weiter verwendete er Stuart Halls Idee zur Ideologie bildenden Kraft von Bildern[1] sowie Michel Foucaults Überlegungen zur Diskursanalyse. Dem Referenten ging es darum, zu untersuchen, wie in Fotografien bestimmte Erzählungen und Narrative transportiert würden. Dabei spielten unterschiedliche Begriffe von Sicherheit eine Rolle, denn „Sicherheit“ umfasse sowohl regulierende und kontrollierende, als auch frieden- und ordnungsstiftende Dimensionen. An unterschiedlichen Sicherheitsbegriffen ließen sich unterschiedliche Formen von Konflikten und Kriegen nachvollziehen und die Bilder daraufhin untersuchen, so Casula. Schließlich seien die Thematik der Andersartigkeit, die Differenz zwischen dem Eigenen und dem Fremden sowie die Spannung zwischen Moderne und Rückständigkeit wichtige Punkte für die Interpretation von Kriegsbildern.

Das zweite Panel hatte als erste inhaltliche Sektion die Jugoslawienkriege Anfang der 1990er Jahre zum Thema. NADINE FREIERMUTH SAMARDZIC (Basel) stellt in der Einführung ihr Projekt vor, in dem sie visuelle Darstellungen des Bosnienkrieges untersucht und analysiert, wie Bilder die Diskurse über den Krieg beeinflussten. Sie ging der Frage nach, welche Fotografien die deutsche, österreichische und schweizerische Presse druckte, und welche Vorstellungen vom Balkan diese transportierten. Freiermuth Samardzic interessierte sich auch dafür, auf welche Traditionen, beispielsweise aus dem 19. Jh. Fotografen zurückgriffen. So zeigte sie am Beispiel von musizierenden Soldaten, wie fotografische Darstellungen den Bosnienkrieg folklorisierten und dadurch zu einem vormodernen Krieg machten.

JÖRG BECKER (Marburg) beleuchtete die Rolle der PR-Agenturen während der Balkankriege. Er untersuchte, wie Agenturen durch ihre Berichterstattung und die Verbreitung visueller Materialien Einfluss auf den Konflikt und die Wahrnehmung des Krieges nahmen. Es sei eine neue Strategie der Informationsvermittlung von den Agenturen entwickelt worden: Während bislang ein bis zweimal täglich Informationen veröffentlicht worden seien, habe man versucht, ständig möglichst viele Informationen zu verbreiten, sodass in den Redaktionen keine Zeit gewesen sei, deren Inhalt zu überprüfen. Becker plädiert dafür, dass bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Kriegen und deren Bildern nicht nur die politischen Akteure, sondern auch verstärkt die Rolle der Medien untersucht werden solle.

KONSTANTIN KAMINSKIJ (Konstanz) untersuchte die filmische Selbstdarstellung der Serben im Jugoslawienkrieg. Er legte seinen Schwerpunkt auf die Inszenierung Radovan Karadžićs und die Rolle der nach dem Zerfall des sozialistischen Jugoslawiens wiedererstarkten serbischen orthodoxen Kirche. Der Vortragende konzentrierte sich in seinen Ausführungen auf den manipulativen Charakter der Bilder. Allerdings hatten weder Kaminskij noch die Diskutant/innen eine befriedigende Antwort darauf, wie mit dem Wissen, dass es sich um manipulierte oder gar gefälschte Bilder handelte, umgegangen werden könnte. Neben der Analyse von Filmausschnitten fragte der Referent nach der Bedeutung, die diese Filmsequenzen auf Internetplattformen wie Youtube haben. Zu diesem Zweck präsentierte er Aufnahmen vermutlicher ethnischer Säuberungen. Hierzu hätten sich in der Diskussion die eine oder der andere eine detailliertere Interpretationen gewünscht.

Der zweite Tag begann mit einem Panel zum sowjetischen Afghanistankrieg. MARKUS MIRSCHEL (Zürich) ging in seiner Einführung auf die besondere Bedeutung ein, die Bilder innerhalb des sowjetischen Mediensystems einnahmen. Die offiziellen Bilder der „Pravda“ und des „Krasnaja Zvezda“ zeigten, was die Sowjetbürger sehen sollten. Dies dürfte wohl auch den meisten Soldaten bewusst gewesen sein, die feststellten, dass die von ihnen erlebte Kriegsrealität, kaum mit dem übereinstimmte, was die Zeitungen zeigten. Mirschel stellte weiter vor, wie er die sowjetischen Fotografien des Afghanistankrieges analysierte, indem er thematische Gruppen von Bildern zusammenstellte, wie Darstellungen der fortschrittlichen, sowjetischen Armee, der modernen, ländlichen Bevölkerung oder multiethnischer Gruppen, und dadurch die Fülle an Material handhabbar machte.

ALEKSANDRA YATSYK (Kazan) beschäftigte sich mit der Auseinandersetzung und Darstellung des Afghanistankrieges in zwei russischen Spielfilmen. Der Referentin zufolge sei die Bedeutung und Interpretation des Afghanistankrieges weniger klar, als die Deutung des Zweiten Weltkrieges. Darum analysierte Yatsyk vergleichend die Kinofilme „Afganskij Izlom (Hölle ohne Ausweg)“ (1991) und „Devjataja Rota (Die Neunte Kompanie)“ (2005). Obwohl beide Handlungen im Afghanistankrieg spielten, zeigte die Referentin, welche unterschiedlichen Narrative und Bildsprachen die Filme verwendeten und dass sich innerhalb von 15 Jahren die jeweilige Interpretation des Krieges stark veränderte. In der anschließenden Diskussion gingen die Konferenzteilnehmer/innen immer wieder auf den Entstehungskontext beider Filme ein. Während „Afganskij Izlom“, in dem ein einsamer Held im Mittelpunkt der Handlung steht, vor dem Hintergrund der zerfallenden Sowjetunion entstand, ist es in „Devjataja Rota“, aus der Putinzeit, eine Gruppe von Menschen. Wurde 1991 ein Heldentypus aus dem Westen importiert, sei der Film 2005 ein Gegenentwurf zu westlichen Filmen, im Zentrum stünde ein Kollektiv, das vom Staat betrogen wurde. Yatsyk analysierte über 1300 Kommentare von Zuschauern, die von 2006-2010 im Internet ihre Meinung über die Filme formulierten. Anhand dieser Kommentare arbeitete sie heraus, wie die beiden Produktionen zur Erinnerung an den Afghanistankrieg beitragen.

Nach einer ausführlichen ereignisgeschichtlichen Darstellung des Kriegsgeschehens wandte sich PHILIPP FRAUND (Konstanz) der Berichterstattung über den Afghanistankrieg in der westeuropäischen Presse zu. Er bemerkte, dass es sehr wenig Bildmaterial gebe und dass außerdem meist keine Metadaten zu den Fotografien bekannt seien. Mit Blick auf die Materialarmut wurde in der Diskussion die Vermutung geäußert, dass es eventuell nicht weniger Bilder gebe, sondern dass weniger gedruckt worden seien. Eine interessante Ergänzung zu den Pressefotografien könnten daher private Sammlungen sowjetischer Soldaten darstellen. Fraund merkte an, dass es auch innerhalb der Bilderkorpora in westlichen Medien ein Ungleichgewicht gebe, es seien hauptsächlich Bilder amerikanischer Agenturen in der westeuropäischen Presse zirkuliert. Eine Besonderheit des Afghanistankrieges scheint zu sein, dass weder auf sowjetischer, noch auf westeuropäischer Seite eine Bildikone des Krieges entstand. Eine Beobachtung, die mehrere Beiträge in der Diskussion aufgriffen.

Die Vorträge im vierten Panel, das Philipp Casula (Zürich) moderierte, gingen besonders auf die Verbindung von Bildern, Trauma und Erinnerung am Beispiel des Tschetschenienkrieges ein. Nach der theoretischen Herleitung, was er unter „visueller Kultur“ verstand, präsentierte ANDREY MAKARYCHEV (Tartu), wie aktuell in Tschetschenien staatliche Organe Symbole verwenden, um eine offizielle Erinnerungstradition herzustellen und auf die Folgen des Krieges zu reagieren. Zu diesem Zweck untersuchte er unterschiedliche visuelle Darstellungen, wie Filmausschnitte, Icons und Fotografien. Er demonstrierte die Mechanismen des „branding“ am Beispiel eines von der Regionalregierung ausgeschriebenen Wettbewerbs. Um Tschetschenien ein positiveres Image zu verschaffen, sollte ein charakteristisches Symbol entwickelt werden. Die 10 ausgewählten Vorschläge verwiesen auf Themen, wie die Moschee in Grozny, den Kreml in Moskau oder den Regenbogen, als Friedenszeichen. In einem zweiten Beispiel schilderte Makarychev, wie sich Ramsam Achmatovič Kadyrov, Präsident der autonomen Republik Tschetschenien, bei einer Internetabstimmung über die 10 beliebtesten Bauwerke Russlands dafür einsetzte, dass die Moschee „Das Herz von Tschetschenien“ mit dem Kreml in Kolomna den ersten Preis erhielt. Makarychev ging es weniger um Kriegsbilder, als um Bilder des aktuellen Tschetscheniens.

OKSANA SARKISOVA (Budapest) untersuchte den Dokumentarfilm „Barzakh“ (2009). Das Erstlingswerk des Regisseurs und Anthropologen Mantas Kvedaravičius widmet sich der Thematik der Verschwundenen im Nordkaukasus. Er dokumentiert das Leben von Familien, deren Söhne entführt wurden, erzählt die Geschichte von Alaudi Sadykov, der nach Verschleppung und Folterung zurückkehrte, und von Menschenrechtsaktivisten und deren Suche nach Informationen über Verschwundene. Obwohl Gewalt nicht auf der Leinwand gezeigt wird, ist sie im Film das zentrale Thema und allgegenwärtig. Sarkisova betonte, dass visuelle Quellen eine alternative Interpretation eines Krieges liefern können, weil sie eine traumatische Erfahrung reproduzieren können, wodurch sie Möglichkeiten für Kriegserinnerung und die Verarbeitung von Traumata schaffen.

In der Schlussdiskussion betonte FRITHJOF BENJAMIN SCHENK (Basel), dass Darstellungen von Kriegen prinzipiell nichts Neues seien. Allerdings habe die Konferenz gezeigt, wie breit der Begriff des Visuellen sei, sodass es entsprechend der Fülle an Medien eine Fülle von Analysemethoden brauche, um Fotografien, Filme oder Webseiten zu untersuchen. Wissenschaftler/innen hätten es mit einer großen Zahl von Akteur/innen zu tun, die an der Bildproduktion und -zirkulation beteiligt seien. Fotograf/innen, PR-Agenturen oder unterschiedliche Kriegsparteien verfolgten dabei spezifische Interessen. Auch die Bilder selbst hätten unterschiedliche Funktionen, beispielsweise zum Zeitpunkt ihrer Entstehung während des Krieges im Kontext der Propaganda, oder nach dem Krieg, wenn sie dazu beitragen, die Geschichte lebendig zu halten, zu Beweisen werden oder der Erinnerung dienen.

Schenk fragte, was das Spezifische des Genres Kriegsfotografie sei, eine Frage, die in der abschließenden Diskussion aufgegriffen wurde, und was Krieg genau sei. Eine eindeutige Antwort konnten die Teilnehmer/innen nicht geben, was angesichts der großen Bandbreite der am Workshop vorgestellten Bilder auch verwundert hätte. Jedenfalls müsse zwischen Krieg und dem Krieg im Bild unterschieden werden. Wichtige Facetten der Kriegsfotografien scheinen Fragen nach dem Wir und den Anderen, Darstellungen von Gewalt sowie die Gender-Perspektive zu sein.

Abschließend betonte Schenk, dass Wissenschaftler/innen die Aufgabe hätten, sich mit spezifischen Fragen den Bildern zu nähern, sie in ihren historischen Kontext einzubetten, Darstellungstraditionen, Ikonen und vorherrschende politische oder gesellschaftliche Diskurse zu entschlüsseln. Dabei hätten sich in den letzten Jahren über Einbeziehung von Internetkommentaren, Blogs und Foren neue Möglichkeiten entwickelt, mit denen sich Untersuchungen der menschlichen Wahrnehmung von visuellen Quellen nähern könnten.

Der Workshop machte deutlich, dass Bilder längst als Quellen in der Wissenschaft angekommen sind. Die Vorträge und Diskussionen zeigten, wie vielfältig visuelle Quellen und die Methoden mit ihnen zu arbeiten sind und welche Bandbreite an Fragen gerade auch angesichts unterschiedlicher Erkenntnisinteressen in verschiedenen Disziplinen an sie gerichtet werden.

Konferenzübersicht:

Panel I: The Visuality of Ethics and Violence

Jens Jäger (Köln): Photographs as Historical Sources. Black Box, Pandora’s Box or no Box at all?

Philipp Casula (Zürich): On the Relation between Picture Text and Discourse – a Research Agenda for Analyzing Pictures of War

Kommentar Aleksandra Yatsyk (Kazan)

Panel II: The War in Yugoslavia. Icons and Actors

Einführung: Nadine Freiermuth Samardzic (Basel)

Jörg Becker (Marburg): PR Agencies and War Reporting

Konstantin Kaminskij (Konstanz): Images and Self-Images of Radovan Karadžić

Panel III: The Soviet War in Afghanistan

Einführung: Markus Mirschel (Zürich)

Aleksandra Yatsyk (Kazan): Politics of Memory and the Aestheticization of the Soviet Union’s Last War. ‘Afganskij Izlom’ and ‘Devjataja Rota’

Philipp Fraund (Konstanz): The Soviet Invasion of Afghanistan. The gravest Threat to the World Peace

Panel IV: Securing Russia by Waging in Chechnya?

Einführung: Philipp Casula (Zürich)

Andrey Makarychev (Tartu): Visual Imagery of North Caucasus in Russian Mass Cultural Narratives

Oksana Sarkisova (Budapest): Filming at the Threshold. Mantas Kvedaravičius’ ‘Barzakh’ in the Context of Contemporary Representations of Chechnya

Schlussdiskussion: Frithjof Benjamin Schenk (Basel)

Anmerkung: 
[1] Stuart Hall, The determinations of news photographs, in: Stanley Cohen / Jack Young (Hrsg.), The manufacture of news Social problems, deviance and the mass media, London 1981, S. 226-243; Michael Emmison / Stuart Hall, Researching the Visual, London 2012.