Von 5. bis 7. Juni 2019 fand an der Universität Basel die «Studentische Konferenz für Osteuropaforschung in der Schweiz» statt. Die Konferenz wurde von Studierenden der Universität Basel initiiert und durchgeführt.

Die Resonanz war erfreulicherweise sehr gross. Die TeilnehmerInnen, insgesamt 25 an der Zahl, reisten aus Bern, Zürich, Fribourg, Genf und St. Gallen an. Einige ReferentInnen kamen sogar aus dem Ausland: aus Moskau, München, Heidelberg und Konstanz. Kurzum: Was ursprünglich als Zusammenkunft von Schweizer Studierenden gedacht war, wurde zu einem internationalen Vernetzungstreffen von angehenden AkademikerInnen und OsteuropaexpertInnen. 

Auch das Feld der Konferenzbeiträge war sehr weit und reichte von Filmanalysen über linguistische Feldforschung bis hin zu völkerrechtlichen Einschätzungen. Als übergeordnete Klammer fungierte ein weit gefasster Begriff von «Osteuropa», dem zwar die Mental Maps des 21. Jahrhunderts zugrunde lagen, der diese aber auch kritisch reflektierte und hinterfragte. Interessant waren in diesem Zusammenhang die Beiträge von KommilitonInnen aus Russland und der Ukraine, die an der Konferenz prominent vertreten waren.

Alexander Mishnev von der Universität St. Gallen stellte etwa sein Forschungsprojekt zu den Aktivitäten der Stiftung «Russkij Mir» im Ausland vor. Iryna Yakubovska aus München analysierte die Sprache des Totalitarismus in seiner sowjetischen Prägung und Yana Sidorkina aus Moskau gab uns einen Einblick in die Künstlerszene ihrer Heimatstadt.

Gleich mehrere ReferentInnen nahmen sich des Themenkomplexes der «Erinnerungskultur» an. Luca Thoma von der Universität Basel stellte seine Masterarbeit vor, in der er den polnisch-jüdischen Beziehungen, plastisch dargestellt im Park der Überlebenden in Łódź, auf den Grund geht. Im hochgradig politisierten Spannungsfeld des Holocaust-Gedenkens in Polen, das sich zwischen einem nationalen Heldenkult und der selbstkritischen Thematisierung von polnischer Kollaboration auftut, ergründet Luca Thoma in seiner Fallstudie lokale Erinnerungspraktiken sowie deren Akteure und versucht dabei, den Begriff «Geschichtspolitik» zu «Geschichtspolitiken» zu pluralisieren.

Martina Langhals aus Heidelberg untersuchte in ihrem Vortrag «Denkmäler im Rahmen eines Opfermythos? Die Erinnerung an den Holodomor: Die grosse Hungersnot 1932/33 in der Sowjetunion» das Holodomor-Gedenken in- und ausserhalb der Ukraine und zeigte auf, wie stark sich die Erinnerungspraktiken- und Diskurse teilweise unterscheiden, wobei sich insbesondere ein Graben zwischen der Ukraine und der ukrainischen Diaspora im Ausland auftut.

Andri Hürlemann von der Universität Zürich indes zeichnete die wirkungsmächtige Karriere eines «Fakes» nach, welches die kollektive bildliche Vorstellung vom Ablauf der Russischen Revolution für Jahrzehnte geprägt hatte, und zwar im Osten wie im Westen. Die Rede ist von der Theaterinszenierung des Sturms auf den Winterpalast in den 1920er-Jahren, deren Bildarsenal in Schul- und Geschichtsbücher rund um den Globus eingegangen ist und fälschlicherweise suggeriert, dass die Oktoberrevolution ein Massenaufstand gewesen sei, wenn sie in Tat und Wahrheit die Aktion einer kleinen Speerspitze von Revolutionären war.

Hürlimann stellte die bildliche Inszenierung dieser Propagandamähre sowie deren Rezeption im Verlauf des kurzen 20. Jahrhunderts vor; ein Thema, das ihn in seiner angedachten Dissertation weiter beschäftigen wird.

Das Rahmenprogramm der Konferenz bildeten ein gemeinsames Abendessen am Mittwoch sowie eine Stadtführung und eine anschliessende Grillparty im Hof des Deutschen Seminars am Donnerstag. 

Die Keynote-Lecture am Mittwochnachmittag hielt die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Kateryna Botanova (Basel / Kyiv). In ihrem Vortrag mit dem provokanten Titel «30 years after the Wall: what's wrong with Eastern Europe (again)?» ging sie der Frage nach, welche Geschichtskomplexe die neuen EU-Länder und ihre Nachbarn im Osten des Kontinents auch 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch (oder mehr denn je) beschäftigen. 

Die Diskussionen während der jeweiligen Panels waren sehr angeregt. Viele TeilenehmerInnen nahmen die Konferenz zum Anlass, mit KommilitonInnen, die an verwandten Themen arbeiten, in Kontakt zu treten und sich auszutauschen. 

 In der Feedback-Runde am Freitag stellet sich ausserdem heraus, dass das Bedürfnis nach solchen Zusammenkünften unter den Studierenden gross ist. Schliesslich gibt es in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern nur selten studentische Konferenzen. Man kam überein, die studentische Osteuropa-Konferenz von nun an regelmässig durchzuführen, wenn möglich im Rotationsprinzip zwischen den Schweizer Universitäten. Für nächstes Jahr hat sich jedenfalls bereits eine Arbeitsgruppe in Fribourg gebildet. 

 

Luca Thoma & Oliver Sterchi