Das Paar, la cellule conjugale, die Ehe sind der Eckstein des sozialen Gebäudes: So und ähnlich steht es in den Handbüchern, so sieht es auch aus im Geschichtsbild der Gegenwart: Die europäischen Gesellschaften praktizieren seit dem Mittelalter die eheliche Monogamie als sozial-moralisches Ideal und Standardpraxis. Warum, woher, wozu diese radikale Beschränkung in einem zentralen sozialen Feld? Kann das stimmen? Kennt das postantike nordwestliche Eurasien vielleicht doch die Polygynie - wo nicht die «Vielehe» (das wäre zumindest im Christentum ein begrifflicher Widerspruch), so doch plurale Paarbeziehungen als sozial bedeutsame Praxis? Und wenn ja: wann, wo, wie und in welchen Kontexten?

Jan Rüdigers 2015 erschienene Monographie zu Polygynie und politischer Kultur im Mittelalter (englisch 2020) steht zur Debatte, zur Nachprüfung, zur Veri-/Falsifikation: für andere Regionen als die dort untersuchten, für weitere soziale Milieus, vielleicht aus anderen Perspektiven und mit anderen Quellen. An den 5. Schweizerischen Geschichtstagen in Zürich 2019 veranstalteten wir ein Panel zum Thema. Aktuell untersucht bei uns Maria Tranter Diskurse zu Ehe und Geschlecht in England zwischen 800 und 1200 anhand u.a. angelsächsischer Predigten und in und über England entstandene Chroniken. Teresa Steffenino verfolgt ein Doktoratsprojekt zu Polygynie und Feudalismus in Katalonien.