Projekt

Gegenstand des Projekts ist die Vokalität der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Das Projekt setzt sich zum Ziel, den Stellenwert, die Funktion sowie die politische und kulturelle Bedeutung der Stimme als Medium von Öffentlichkeit und Gesellschaft im deutschsprachigen Raum der Frühen Neuzeit (1600–1800) zu untersuchen. 

In der aktuell laufenden zweiten Projektphase (seit 01.01.2023) wird dazu ein Quellen-Korpus von etwa 500 ausgewählten Liedflugschriften der frühen Neuzeit aus 26 deutschsprachigen Bibliotheks-Sammlungen transkribiert und mit digitalen Methoden erschlossen.


Das Projekt wird unterstützt durch RISE (Research and Infrastructure Support, Universität Basel).

Im Zentrum des Interesses steht dabei die Relevanz stimmbasierter Kommunikation und vokaler Akteure für die Konstitution einer frühmodernen Medienöffentlichkeit. Am Beispiel von zeitgenössischen Liedern und Liedflugschriften sollen vokale Medien als intermediale Konstellationen zwischen ephemerer Performanz und Fixierung in Schrift und Druck verstanden werden.

Das Projekt zielt damit primär auf ein neuartiges Verständnis frühmoderner Öffentlichkeit und politischer Kultur, für welches stimmbasierte Medienpraktiken und vokale Medienakteure zentral sind. Im Projekt werden mit Liedflugschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts systematisch Quellenkorpora erschlossen, die die Intermedialität des frühneuzeitlichen Mediensystems zwischen ephemerer Performanz durch Sänger*innen und der Fixierung im gedruckten Objekt «Liedflugschrift» erkennbar werden lassen.

Darüber hinaus werden im Projekt der Einfluss dieser intermedialen Konstellation auf Produktion, Verbreitung und Wahrnehmung von Nachrichten und damit einhergehende Konzepte von Aktualität und Zeitlichkeit in ihrem historischen Kontext analysiert. Vokalen Medien erscheinen in dieser Perspektive als «soziale Medien» par excellence, indem sie nicht nur ein Publikum über das Geschehen in der Welt informieren, sondern sich zugleich durch den Körper des performer und den Klang seiner oder ihrer Stimme in konkreten sozialen Räumen vormoderner Städte und Dörfer, auf Strassen und in Wirtshäusern verorten.

Durch die Analyse dieser Zusammenhänge als Elemente eines komplexen frühmodernen Kommunikations- und Mediensystems interveniert das Projekt in aktuelle Debatten über die Frage «how the world came to know about itself» (Andrew Pettegree) und die medialen Voraussetzungen frühmoderner Nachrichtenkultur. Um diese Zusammenhänge analysierbar zu machen, werden im Projekt deutschsprachige Lieder und Liedflugschriften mit konkretem Ereignis- und Aktualitätsbezug und/oder unmittelbarem politischem Interventionscharakter bibliographisch erschlossen, praxeologisch kontextualisiert und inhaltlich interpretiert.

Im Projekt Macht der Stimme werden die Quellentexte mithilfe von Transkribus (siehe ➚ readcoop.eu) zunächst transkribiert und maschinen-lesbar gemacht. Für die variantenreichen Druckbilder der im Projekt bearbeiteten deutschsprachigen Liedflugschriften der Frühen Neuzeit wurde in der Anfangsphase ein eigenes Modell trainiert. Es fußt auf einem größeren Basismodell für vergleichbare Drucke des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Transkribus PrintM1). Darüber hinaus schließt es eine Reihe von Projekt-eigenen Festlegungen (etwa Umlaute, Sonderzeichen, etc.) ein. Mit dem dabei entstandenen Modell können die Texte auf der ganzen Breite des Korpus zu 98% zuverlässig erkannt werden. Anschließend wurden die Texte manuell korrigiert und stehen damit als diplomatische Transkriptionen zur Verfügung. 

Daneben erschließt das Projekt auch Strukturmerkmale im Layout (Text-Regionen wie Titel und Überschriften, Verse, Kolophon, Paratexte, etc.) und spezifische inhaltliche Text-strings in den Quellen. Erfasst werden dabei nicht nur named entities wie Orts- und Personennamen, die Titel spezifischer Melodien, sondern auch Datierungen von Ereignissen und Druck und "weichere" Aspekte etwa Bibel-Referenzen und metaphysische Aspekte.

Mit dem so entstandenen Datenpaket sind zusätzlich zur klassischen historischen Quellenarbeit weiterführende Vorhaben denkbar, bei denen die Digital Humanities eine tragende Rolle spielen, etwa Editionen der Primärquellen, Qualitative und quantitative sprachliche Analysen (Natural Language Processing), zeit-räumliche Präsentation wie interaktive Karten, storytelling zu spezifischen Akteuren und thematischen Schwerpunkte und viele mehr.

Zwei Fallstudien konkretisierten die im Projekt anvisierten Zusammenhänge: Zum einen wird nach der Funktion von Liedern und Liedflugschriften für Informationsvermittlung und Meinungsbildung gefragt, zum anderen nach ihrem Beitrag zur Herausbildung eines zeitgenössischen Geschichtsbewusstseins und historischen Imaginationsraums. Ein drittes Teilprojekt thematisiert die Frage nach vokaler agency in urbanen Räumen und kontextualisiert damit die soziale Funktion von Liedmedien und SängerInnen der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Insgesamt zielt das Projekt auf eine mehrdimensionale Analyse von Vokalität in der Medien-, Politik- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit.

Dissertationsprojekte

«Von der Eydgnoschafft will ichs heben an […]». Liedflugschriften als (vokale) Medien eidgenössischer Bündnisbeziehungen im 16. Jahrhundert. (Sara Steffen)

Spilled Words. Talk and Its Limits in Early Modern Switzerland (Markus Bardenheuer)

 

 

Missfelder, J.-F. (im Druck) Der grösste Hit des Jahres 1712. Pop und Politik in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, in: Elisabeth Natour, Andrea Zedler (Hg.), Musik und Politik im Europa der Frühen Neuzeit, Köln u.a.: Böhlau.

Missfelder, J.-F. (im Druck) Pfiffen, orenblosen und schwetzen jm Chor. Klang und Gesellschaft bei Sebastian Brant, in: Martin Clauss, Christian Jaser, Gesine Mierke (Hg.), Medialisierung des Ephemeren. Dimensionen des Akustischen in Texten, Bildern, Artefakten des Mittelalters, Köln u.a.: Böhlau.

Missfelder, J.-F. (im Druck) Acoustic Agencies and Voice in Early Modern Europe. A Conceptual Approach, in: Tül Demirbas, Margret Scharrer, Cristina Urchueguia (Hg), Sounds of Power, Köln u.a.: Böhlau.

Missfelder, J.-F. (2023) From Choir to Chamber. Negotiating Music in the Zurich Reformation, in: Journal of Early Modern Christianity 10, pp. 187-214. 10.1515/jemc-2023-2044

Missfelder, J.-F. (2023) On Necromantic History (and Music), in: Christelle Cazaux, Martina Papiro, Agnese Pavanello (Hg.), Tanz und Musik. Perspektiven für die Historische Musikpraxis (= Basler Beiträge zur historischen Musikpraxis, Hg.: Martin Kirnbauer 42), pp. 355-366.

Missfelder, J.-F. (2022) “The Local and the Vocal. Tracing Vocality in Early 18th Century Print Media”, Cheiron Materiali e strumenti di aggiornamento storiografico, 6(2), pp. 30–49. 10.3280/che2021-002002.   

Missfelder, J.-F. (2022) “Soziales Hörwissen und Klanghandeln um 1500”, Troja. Trossinger Jahrbuch für Renaissancemusik, 18(2019), pp. 23–45. 10.25371/troja.v20193309.   

Missfelder, J.-F. (2021) “Macht der Stimme. Die Vokalität von Politik und Medien in der Frühen Neuzeit - ein Projekt und ein Fall”, Medialität. Historische Perspektiven Newsletter, (22), pp. 27–31. Available at: https://www.zhm.uzh.ch/de/newsletter.html.   

Missfelder, J.-F. (2020) “Doesn’t that feel real to you? Re-Enactment und die Erfahrung historischer Differenz”, Medialität. Historische Perspektiven Newsletter, (20), pp. 3–9.   edoc

Missfelder, J.-F. (2019) “Ueli der Reformator. Wenig mehr als eine Filmkritik”, Traverse: Zeitschrift für Geschichte = revue d’histoire. Edited by E. Keller, J.-F. Missfelder, G. Bernasconi, and C. Koller, 26(2), pp. 163–178.   edoc

Missfelder, J.-F. (2019) “Sound Politics. Sonic Agency and Social Order in Early Modern Zurich”, Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento, 45(2), pp. 87–106. 10.7387/95267.   edoc

 

 

 

Konferenzen & eigene Workshops

  • Voicing the Political. 1st Basel Early Modern Vocal Media Workshop (Universität Basel, März 2021)

  • Balladworthy News, and Newsworthy Ballads: A Shared European Heritage? (Renaissance Society of America, Virtual Meeting April 2021, gemeinsam mit Angela McShane und Siv Goril Brandtzaeg)

  • Competition and Convergence on the Early Modern Marketplace of Information (Panel an der Arbeitstagung der AG Frühe Neuzeit im Deutschen Historikerverband, Universität Rostock, September 2019, gemeinsam mit Carla Teresa Roth).

 

Vorträge (2019 - 2022)

Prof. Dr. Jan Friedrich Missfelder

  •  Singing Political Identity in Early Modern Switzerland (Workshop: Speaking of Power and Politics, Universität Helsinki, Dezember 2022).

  • Der Alte Greis, Bruder Veit und das Interim. Politik, Religion und (vokale) Medien in der Eidgenossenschaft des 16. Jahrhunderts (Universität Bern, November 2022)

  • Sound and Power in an Intercultural Perspective. Abschlusskommentar (Konferenz: Between Ulm and Jerusalem. Sound and Hearing Cultures in Mutual Perception (500-1500), Orient-Institut Istanbul, Oktober 2022).

  • Vocal Power. The Vocality of Early Modern Media (Konferenz: La longue vie des imprimées éphémères, Université de Genève, Mai 2022).

  • Orenblosen und schwetzen jm Chor. Klang und Gesellschaft bei Sebastian Brant (Konferenz: Medialisierung des Ephemeren. Dimensionen des Akustischen in Texten, Bildern, Artefakten des Mittelalters, Humboldt-Universität zu Berlin, Oktober 2021).

  • Der grösste Hit des Jahres 1712. Pop und Politik in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft (Konferenz: Musik und Politik im Europa der Frühen Neuzeit, Universität Regensburg, September 2021).

  • The greatest hits of 1712. Singing civil war in early modern Switzerland (Konferenz: Soundscapes in the Early Modern World, Liverpool John Moores University, Juli 2021).

  • Always Already New(s). Temporalities of Early Modern Vocal Media Practices (Workshop “Historical Practice Theory”, University of Sheffied, März 2021).

  • Acoustic Agencies in the Early Modern European City. A Conceptual Approach (Workshop: Between Court and City: Soundscapes of Power in East and West, 15th–17th centuries, Universität Bern, Februar 2021).

  • «Der apostel predget in die oren, aber gott allein ins hertz.» Is there a Zwinglian sense of hearing? (Workshop: A Disembodied Religion? Corporeality and Embodiment in Early Reformed Thought», Institut d’histoire de la Réformation, Université de Genève, November 2020

  • Kor und Kämmerlin. Noch einmal zu Zwinglis Stellung zur Musik (Konferenz «Zürichs gelebte Reformation», Zürich, November 2019).

  • The Local and the Vocal. Unearthing Orality in Early 18th Century Swiss News Media (Arbeitstagung der AG Frühe Neuzeit im Deutschen Historikerverband, Universität Rostock, September 2019)

  • Hör-Wissen 1500. Zur kommunikativen Kultur des Hörens in der Vormoderne (Konferenz: Maximilian I. und Musik. Reale Präsenz vs. virtuelle Kommunikation, Volkswagenstiftung Hannover, Juni 2019)

  • Distribution of the Audible. Theorizing the Agency of Sound in Early Modern History (Konferenz: Tracing the Agency of Sound, Universität Bern, Februar 2019)  

Sara Steffen

  • „Von der Eydgnoschafft will ichs heben an…“. Vokale Medien und eidgenössische Bündnisbeziehungen im 16. Jahrhundert (Doktorierendenkolloquium Historisches Institut der Universität Bern, Januar 2022).

  • „Von der Eydgnoschafft will ichs heben an...“. Printed Ballads and Alliance Politics in Sixteenth-Century Switzerland" (Posterpräsentation an Konferenz: La longue vie des imprimés éphémères, Université de Genève, Mai 2022).

  • Frühneuzeitliche 'Streisand-Effects' oder: Wie zensiert man Liedflugschriften in der Eidgenossenschaft des 16. Jahrhunderts? Das Beispiel des 'Interlakenlieds' von 1538/39 (Workshop: Von der Kunst des Navigierens im Nachrichtenstrom – Fake News, Geheimhaltung und (Selbst-)Zensur als Mittel gezielter Nachrichtenverbreitung, Bergische Universität Wuppertal, Juli 2022).

  • „Von der Eydgnoschafft will ichs heben an [...]“. Liedflugschriften als (vokale) Medien eidgenössischer Bündnisbeziehungen im 16. Jahrhundert". (Kolloquium Aktuelle Forschungen zur Geschichte der Vormoderne, Universität Basel, Oktober 2022).

  • 'Under the foot': Policing vocal media in the 16th-century Swiss Confederation. (Konferenz: Soundscapes in the Early Modern World, Liverpool John Moores University, Juli 2021).

  • Audible Networks: Connecting Texts through Music in 16th-Century Swiss Printed Ballads (Huygens ING Amsterdam, Oktober 2020)

Markus Bardenheuer

  • Ausgegossene Reden. Disputieren, Spotten und Schwätzen in der frühmodernen Eidgenossenschaft (Kolloquium Aktuelle Forschungen zur Geschichte der Vormoderne, Universität Basel, März 2022)

  • Media of Everyday Conflict in Early Modern Switzerland (Posterpräsentation an Konferenz: La longue vie des imprimés éphémères, Université de Genève, Mai 2022).

  • Religious Talk and Its Limits in Early Modern Switzerland (Konferenz: Religion and Free Speech in the Early Modern Period. Spaces, Emotions, and Debate, VU Amsterdam, November 2021).

  • The silent life. negotiating the soundscape of rural Zurich in the Long Reformation (Konferenz: Soundscapes in the Early Modern World, Liverpool John Moores University, Juli 2021).

  • Projektvorstellung Frühneuzeitworkshop TU Dresden (November 2020)

  • Streit und Öffentlichkeit in der frühmodernen Stadt (Basel Graduate School of History Jahrestagung, September 2019)

  • Projektvorstellung BGSH Workshop Basel meets Queen Mary (Mai 2019)

  • Projektvorstellung BGSH Workshop Objektgeschichte (April 2019)