Als «la plus bele de la cort»[1] beschreibt Chrétien de Troyes Enite, die Protagonistin seines ersten Artusromans Erec et Enide, und verweist damit deutlich auf ihre Schönheit. Marie de France charakterisiert wohl zu derselben Zeit männliche Schönheit und Vortrefflichkeit folgendermassen: «ne pot hum trover [s]i bel, si pruz ne si vaillant, [s]i large ne si despendant».[2]
Schönheit und damit einhergehend Hässlichkeit beschäftigten also auch vormoderne Gesellschaften des Hochmittelalters. Doch wie wird diese Schönheit – körperlich wie geistig– in der höfischen Dichtung und weiteren Quellenbeständen entworfen und diskutiert? Was bedeutete es, jemanden als schön zu beschreiben und welche gesellschaftlichen und soziopolitischen Implikationen waren mit einer solchen Zuschreibung, oder dem Fehlen dieser, verbunden? In welche geistigen Landschaften und Diskursräume ist das Nachdenken über Schönheit einzuordnen udn wie beeinflussten die zeitgenössischen Vorstellungen von Schönheit das höfische und gesellschaftliche Selbstverständnis ?
Durch die quantitative Analyse von unterschiedlichen Quellenbeständen – u.a. höfischer Dichtung, Chroniken, hagiographischen Überlieferungen und Erziehungsschriften – soll die kulturgeschichtlich prägende Zeit der Dynastie der Plantagenêts, ca. von 1150 bis 1220, mithilfe von close readings und quantitativen Methoden auf neuartige Weise perspektiviert werden, ohne dabei den ereignisgeschichtlichen Kontext ausser Acht zu lassen. Innovativ ist hierbei insbesondere die interdisziplinäre Verknüpfung der unterschiedlichen Quellenbestände, so ist die Aussagekraft der höfischen Dichtung als historische Quelle bisweilen auch kritisch hinterfragt worden. Der regionale Fokus soll dabei insbesondere auf der Ärmelkanalregion, dem heutigen Nordfrankreich und Südengland, liegen.
Letztlich ist es das Ziel, der menschlichen Schönheit im definierten Zeitraum anhand von Strukturen und Diskursen näher zu kommen. Dies soll dazu dienen, die Möglichkeiten des Handelns, welche durch Schönheit im öffentlichen Raum ermöglicht oder verwehrt wurden, innerhalb eines zentralen und faszinierenden Zeitabschnitts der europäischen Mittelaltergeschichte multiperspektivisch herauszuarbeiten.
[1] V. 1727. Chrétien de Troyes, Erec et Enide, übers. und hg. von Albert Gier, Stuttgart, 1987.
[2] V. 462-464, Marie de France, Yonec In: Marie de France, Lais, hg. von Philipp Jeserich, Stuttgart, 2015.