Das vorliegende Dissertationsprojekt widmet sich der Mitteleuropa-Debatte im Kalten Krieg. Konkret geht es um eine bestimmte Ausprägung dieses breit gefächerten Diskurses, namentlich das Sprechen über die imaginierte Geschichtsregion «Pannonien» im Grenzland zwischen Österreich, Jugoslawien und Ungarn. Im Zentrum der Untersuchung steht der ungarisch-österreichische Publizist und Schriftsteller György Sebestyén (1930-1990). Sebestyén, ein gebürtiger Budapester, floh im Zuge des Ungarn-Aufstands 1956 nach Österreich. Dort wirkte er fortan als Journalist, Romancier und Kulturveranstalter.

In den frühen 1970er-Jahren initiierte Sebestyén die Gründung der Zeitschrift «Pannonia», die er bis zu seinem Tod 1990 als Chefredakteur führte. Die Pannonia verstand sich als «Magazin für Mitteleuropa» (so der Untertitel), welches Autor:innen von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs versammelte. Die Zeitschrift wurde so zu einem Forum, in dem Beiträger:innen aus Ost und West die Vorstellung eines geeinten, historisch-kulturell definierten «Pannonien» entwarfen, das sie der geopolitischen Realität der Blocktrennung entgegen stellten.

Der «Pannonien»-Diskurs war somit Teil der übergeordneten Mitteleuropa-Debatte im Kalten Krieg, die heute vor allem mit namhaften Stimmen wie Milan Kundera oder Karl Schlögel in Verbindung gebracht wird. Ihnen allen war gemein, dass sie die herrschende Zweiteilung Europas mit alternativen, blockübergreifenden Raumvorstellungen herausforderten – und damit auch den geopolitischen Status quo, wie er sich nach 1945 verfestigt hatte, infrage stellten.

Sebestyéns Biographie bietet interessante Anhaltspunkte für eine akteurszentrierte Perspektive auf diesen Diskurs. Neben dem persönlichen Nachlass Sebestyéns wird vor allem das Magazin Pannonia einer systematischen Analyse unterzogen. Dabei soll es unter anderem um die Frage gehen, wie die Beitragenden die Geschichtsregion «Pannonien» respektive «Mitteleuropa» imaginierten, welche Eigenschaften sie ihr zuschrieben, wo sie sie verorteten und welche politischen Forderungen sie von dieser Verortung ableiteten.

Dabei versteht sich das Dissertationsprojekt als Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Kalten Krieges, welche die vielschichtigen, zuweilen komplexen Ost-West-Beziehungen abseits der Ebene von diplomatischen Depeschen, Militärdoktrinen und Gipfeltreffen erzählt. Die Forschung hat sich in den letzten Jahren vermehrt den blockübergreifenden Verflechtungen zugewendet und dabei das stereotype Bild des undurchlässigen «Eisernen Vorhangs» problematisiert.

In den Blick rücken dabei vor allem transnational agierende, nicht-staatliche Akteure in den Bereichen Kultur und Sport. Für Österreich bestehen in dieser Hinsicht noch Forschungsdesiderate. Das vorliegende Projekt will in diese Lücke vorstossen. Die «Pannonia»-Redaktion suchte von Beginn weg den Kontakt zu Verlagen und Publizist:innen in den Staaten des Warschauer Pakts. Daraus erwuchsen grenzüberschreitende Kooperationen, die bis in die Sowjetunion reichten.

Als methodische und theoretische Zugriffe werden unter anderem verwendet: Mental Maps, Exil/Emigrationsforschung (mit Blick auch auf Konzepte von Nostalgie), Diskursanalyse, (Au-to)Biographieforschung und Netzwerkanalyse.