Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden von Schweizer Militär- und zivilen Kantonsgerichten wie auch von Gerichten im europäischen Ausland (britische Besatzungszone in Deutschland, Dänemark, Frankreich, NMT) zwischen 1946 und 1953 acht Schweizer:innen aufgrund ihrer Teilnahme an NS-Kriegsverbrechen und dem Holocaust verurteilt. Sie waren Teil der etwa 2000 Schweizerbürger:innen, die während des Zweiten Weltkrieges in „fremden Diensten“ illegal auf deutscher Seite dienten. Durch ihren Einsatz in der Waffen-SS wurden daher auch Schweizer Freiwillige zu Zeugen von Kriegsverbrechen und dem Holocaust oder beteiligten sich selbst an diesen.
Die acht Prozesse und die vorangegangenen Ermittlungsverfahren gegen Schweizer NS-Täter:innen sind mit wenigen Ausnahmen von der Forschung bislang wenig beachtet und in separaten Fallstudien untersucht worden. Sie stehen daher im Mittelpunkt des Dissertationsprojekts. Ziel ist es, den Umgang mit Schweizer NS-Täter:innen auf drei Ebenen zu untersuchen: erstens die Biografien und Motivationen der Verurteilten mit dem Fokus, wie und warum Schweizer:innen zu NS-Täter:innen werden konnten. Zweitens sollen die Strafprozesse vor allem unter der Frage analysiert werden, ob sich dabei eine systematische schweizerische „Kriegsverbrecher:innenpolitik“ nachweisen lässt oder auf ein unsystematisches Einzelfallvorgehen gesetzt wurde. Hierfür wird das Handeln der beteiligten Schweizer Behörden und des Bundesrates hinsichtlich von Verbindungslinien, Lernprozessen und Versäumnissen untersucht. Auch soll der Frage nachgegangen werden, ob und wie sich die Zusammenarbeit mit ausländischen Strafverfolgungsbehörden gestaltete. Drittens soll die Rezeption der Prozesse in der zeitgenössischen Schweizer Presse im Hinblick auf Täter:innenbilder untersucht werden: stellten die Schweizer NS-Kriegsverbrecher:innen „Sündenböcke“ dar? Wurden sie diabolisiert oder eher gleichgültig betrachtet? Welchen Stellenwert haben die Schweizer NS-Täter:innen im kollektiven Gedächtnis der Schweizer:innen und welchen Einfluss hatten diese auf das heutige Vorgehen der Schweiz gegenüber Kriegsverbrecher:innen?
Gutachter:innen: Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Freiburg i. Br.) und Erik Petry (Basel)