Erstbetreuer: Prof. Dr. Martin Lengwiler
Das Dissertationsprojekt befasst sich damit, wie sich Heimplatzierungen Jugendlicher in den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft im 20. Jahrhundert räumlich und institutionslogisch verorten lassen. Zielsetzung der Studie ist es, die translokalen Netzwerke von Fremdplatzierungen sichtbar zu machen und zu analysieren. Aus personenbezogenen Fallakten der untersuchten Heime und Behörden in beiden Basler Halbkantonen werden die einzelnen Stationen der „Heimkarrieren“ rekonstruiert und analysiert. Es soll untersucht werden, wie viele Umplatzierungen die Jugendlichen erlebten und wie diese begründet wurden. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dabei räumliche Argumente und Wertungen hatten. Welche Rolle spielte die Unterscheidung von Stadt und Land? Sollten die Jugendlichen aus einem bestimmten Milieu entfernt werden? Folgten Fremdplatzierungen dem Wohn-/Heimatortprinzip oder aber einer translokalen Logik jenseits föderaler Grenzen? Die räumliche Dimension der Fremdplatzierung ist bereits im Begriff semantisch angelegt. Sowohl das „Fremd“ wie die „Platzierung“ verweisen auf einen behördlich intendierten Ortswechsel. In der Jugendfürsorgepraxis stehen sich Räume gegenüber, die für die Jugendlichen als entweder schädlich oder aber förderlich eingestuft werden. Im Verlauf der individuellen „Heimkarrieren“ sowie in der institutionellen Zusammenarbeit der Behörden und Einrichtungen entsteht ein Netzwerk. Die im vorliegenden Dissertationsvorhaben untersuchten Institutionen werden als Knotenpunkte in einem solchen räumlichen Netzwerk verstanden. Mit dem Einbezug der Raumtheorie sollen die relationalen Bezüge physischer und sozialer Räume aufgedeckt und analysiert werden. Mithilfe raum- und netzwerkanalytischer Tools der digital history wird die räumliche Dimension der Fremdplatzierung ausgewertet und mittels Karten, Koordinatensystemen und Schaubildern visualisiert. So erprobt die Arbeit auch die Anwendungsmöglichkeiten solcher Methoden für die Geschichtswissenschaft.
Das Dissertationsvorhaben deckt verschiedene Forschungsdesiderate ab. Zum einen mangelt es noch an der Aufarbeitung der Heimunterbringung schulentlassener Jugendlicher nach 1945. Zum anderen ist gerade das Heimwesen von Basel-Stadt und -Landschaft noch nicht ausreichend untersucht und in Beziehung gesetzt worden. Die Erforschung des Systems der Jugendfürsorge, insbesondere in Bezug auf die Zusammenarbeit und Interdependenz von privaten und staatlichen Akteuren, leistet einen wichtigen Beitrag zur Basler Kantonsgeschichte und zur Einordnung derselben in die schweizerische Sozialstaatsgeschichte. Die Fokussierung auf die räumliche Dimension der Heimplatzierungen ermöglicht einen Einblick in die entsprechenden föderalistischen Verhältnisse und somit auch die nationale Ebene des Jugendfürsorgesystems.
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(Abstract Stand November 2016)