Die Zwischenkriegszeit wird von der jüngeren Forschung zunehmend als ambivalente Konstellation zwischen konservativen Strömungen und Modernisierungstendenzen verstanden. In dieses Spannungsfeld sind nicht zuletzt auch zeitgenössische Geschlechterrollen anzusiedeln, die spätestes nach dem Ersten Weltkrieg einer Neuinterpretation bedurften; sei es aufgrund des beispielsweise in Grossbritannien eingeführten Frauenstimm- und Wahlrechts oder infolge der stark angestiegenen Anzahl an erwerbstätigen Frauen. Mit ihrer damaligen Öffnung gegenüber Frauenthemen bildete die Tagespresse einen prominenten Schauplatz für die Verhandlung geschlechtergeschichtlich relevanter Norm- und Wertvorstellungen. Die Publikation von sogenannten Frauenseiten illustriert besagten Umstand besonders anschaulich. Jenen Zeitungssparten, die sich in den späten 1920er-Jahren etablierten und meist regelmässig erschienen, kam bei der Beschäftigung von Journalistinnen in der Tagespresse eine Schlüsselfunktion zu.
Das Dissertationsvorhaben untersucht anknüpfend an die internationale Forschung aus geschlechter- und mediengeschichtlicher Perspektive, inwiefern frühe Journalistinnen Frauenseiten für die Problematisierung respektive Politisierung frauen- und geschlechterspezifischer Themen oder gar für die Verbreitung feministischer Forderungen nutzten und so letztlich Bewegungs- und Tagespresse miteinander verflochten. Sie sind die Akteurinnen eines bedeutenden feministischen Aufbruchs vor der Zäsur von 1968, den es am Fallbeispiel Schweiz erstmals eingehender zu erforschen gilt. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von den späten 1920er-Jahren bis ans Ende der 1950er-Jahre und schliesst so mit den beiden Ausgaben der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) von 1928 und 1958 in Bern respektive Zürich zwei zentrale Ereignisse in der Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung ein.
Die Untersuchung berücksichtigt die deutsch- und französischsprachige Schweiz und setzt einen Schwerpunkt auf die bürgerliche Presselandschaft. Analysiert werden Frauenseiten von insgesamt drei schweizerischen Tageszeitungen: Es handelt sich hierbei um die Basler National-Zeitung, den Berner Bund und die Tribune de Genève. Sie alle publizierten im gewählten Untersuchungszeitraum überwiegend einmal wöchentlich Frauenseiten. Für deren Erstellung wurden zudem Journalistinnen beschäftigt, die als Frauen Pionierarbeit bei der Tagespresse geleistet und sich im Kontext der Frauenbewegung engagiert haben.
Ausgehend von diesem diskurs- und geschlechtergeschichtlichen Erkenntnisinteresse werden einerseits Journalistinnen der ersten Stunde mit Hilfe eines akteurinnenzentrierten Ansatzes greifbarer gemacht. Im Rahmen einer Inhaltsanalyse bisher wenig beachteter Beiträge auf Frauenseiten werden andererseits frühe feministische Debatten herausgearbeitet und einander vergleichend gegenübergestellt. Mit seinem Anspruch, die Tagespresse als frauenbewegten Verhandlungsraum wahrzunehmen, ergründet das Projekt die Rolle von Journalistinnen im Kontext der schweizerischen Frauenbewegung näher und trägt zugleich zu einem erweiterten Verständnis feministischer Publizistik aus dem 20. Jahrhundert bei.
Bildnachweis: Der Bund, Ausgabe vom 30.12.1933, S. 5. Online abrufbar auf der Plattform e-newspaperarchives.ch