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Joachim Struck
"Die lästigen Fremden" Der Diskurs um Bürger- und Niederlassungsrecht in Basel – ein Angelpunkt der politischen Auseinandersetzungen in der Mediations- und Restaurationszeit (1803-1848)
Untersuchungen zur Entwicklung der Einbürgerung- und Fremdenpolitik sowie ihrer rechtlichen und administrativen Umsetzung in Basel zwischen dem Beginn der Mediationszeit 1803 und der Gründung des schweizerischen Bundesstaates 1848.
Die sog. „Sattelzeit“ – die Periode von ca. 1750-1850 – zeigt sich in verschiedener Hinsicht bestimmt von konfliktreichen Übergangsphänomenen. Diese werden im vorliegenden Projekt untersucht an einem konkreten Gegenstand, dem Bürger- und Fremdenrecht in Basel. Hier – so die Hypothese – wirkte sich das Spannungsverhältnis zwischen transnationalem Veränderungsdruck der Rechtssysteme und dem Beharrungsvermögen kleinräumlicher traditionaler Strukturen markanter aus als in straffer organisierten monarchischen Flächenstaaten. Die Untersuchung setzt ein mit dem revolutionären Umbruch der Helvetik 1798 und umfasst die Zeitspanne von der Restauration nach 1803 bzw. 1815 über die Kantonstrennung 1833, die eine für die Stadt Basel einschneidende Zäsur bedeutete, bis zur Gründung des schweizerischen Bundesstaates 1848. Auf kleinem Raum machen sich hier für die Zeit charakteristische antagonistische Tendenzen bemerkbar: traditionale zünftische Besitzstandwahrung kontra innovationsoffenere ökonomische Handelsinteressen; traditionales korporatives Stadt- bzw. Gemeindebürgerrecht kontra modernes gleiches Bürgerrecht innerhalb eines geschlossenen Staatsverbandes, wie es in der Helvetik für kurze Zeit Programm gewesen war.
Die Entwicklung des rechtlichen und substantiellen Bürgerrechtskonzepts in Basel ist dabei im Zusammenhang mit der europäischen Rechtsentwicklung zu betrachten. Das Bürgerrecht definiert nicht nur den rechtlichen Status des Bürgers, sondern durch die Verleihung von politischen Rechten auch seine Wirkung im politischen System und damit der Grad politischer und sozialer Partizipation. Das Bürgerrecht steht damit an der Schnittstelle zwischen Politik und Recht. Weitere Überschneidungen werden sich zu den Themenkomplexen Migration, Inklusion und Exklusion, wechselnde Definitionen von und der Umgang mit «Fremden» sowie zur Rechtslage der Geschlechter ergeben.
Die quellenmässige Hauptgrundlage für die Arbeit ist die Analyse der Gesetze und Verordnungen im Bereich des Basler Bürger- und Niederlassungsrechts hinsichtlich der Auswirkungen bzw. Wechselwirkungen dieser Rechtsnormen, komparativ erweitert mit Blick auf die entsprechenden Rechtsetzungen in anderen schweizerischen Kantonen sowie in ausgewählten europäischen Staaten und den USA. Zudem werden dort, wo es die Quellenlage erlaubt, aufgrund von Basler Rats- und Kommissionsprotokollen oder Zeugnissen der politischen Publizistik die politischen Aushandlungsprozesse im Vorfeld der Setzung diesbezüglicher Rechtsnormen in den Blick genommen.
Die konkrete Umsetzung der Kodifizierung von Bürgerrechts- und Niederlassungsbestimmungen sowie der zugehörigen administrativen Verordnungstätigkeit mit ihren rechtspolitischen Intentionen wird überprüft durch die Analyse der Protokolle kantonaler und städtischer Ratsgremien sowie einer quantitativen und qualitativen Auswertung von Bürgerrechtsaufnahmen und Niederlassungsbewilligungen. Im Staatsarchiv Basel liegt hierzu umfangreiches Aktenmaterial, auch zu einzelnen, bisher nicht gesamthaft berücksichtigen Erhebungen zu Niederlassungen zwischen 1803 und 1848. Bearbeitet wurden von der Forschung bis jetzt bevorzugt die statistisch besser erfassbaren Bestände der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgebauten systematischen Einwohnerkontrolle. Das verwaltungstechnisch weniger normierte, nach unterschiedlichen Methoden erhobene und nach wechselnden Interessen unterschiedlich zusammengestellteMaterial aus den davorliegenden Jahrzehnten ermöglicht zwar nicht ähnlich umfassende und präzise Ergebnisse wie für die Zeit nach 1848, ist aber für Untersuchungen zur administrativen Entwicklung und Praxis von Bürgerrecht und Niederlassung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unverzichtbar, wobei es aufgrund seiner Heterogenität deutlich höhere Ansprüche an die datentechnische Aufbereitung stellt.
Seit 1816 wurde für jedes Einbürgerungsgesuch von der Stadtkanzlei ein Dossier angelegt, das neben dem Bewerbungsschreiben des Petenten Unterlagen wie Heimatschein, Leumundszeugnisse, Tauf- und Abendmahlszertifikate enthielt. Die Dossiers der Eingebürgerten wurden später chronologisch durchnummeriert zu Aktenbänden zusammengebunden und archiviert. Die Dossiers zu den Bürgerrechtsaufnahmen ab 1803 mit ihrem Begleitmaterial bilden die Hauptgrundlage der im Rahmen dieser Arbeit von mir erstellten und ausgewerteten Datenbank zur Einbürgerung.
Auswärtige Frauen konnten nicht selbstständig ins Bürgerrecht aufgenommen werden. Hingegen war es erforderlich, dass Basler Bürger, die mit einer auswärtigen Frau verheiratet oder verlobt waren, beim Stadtrat um die Aufnahme ihrer Ehefrau oder Verlobten ins Bürgerrecht nachsuchen mussten. Die Entscheidungen darüber sind in den Ratsprotokollen des Stadtrates enthalten. Dies gilt auch für dieWiedereinbürgerungen von Witwen, die als ehemalige Basler Bürgerinnen ihr Bürgerrecht bei der Heirat mit einem auswärtigen Mann verloren hatten und nach dessen Tod um die Wiedereinbürgerung ersuchten.
Nur in den Protokollen der städtischen Räte und Kommissionen fassbar sind schliesslich auch Abweisungen und Rückzüge von Bürgerrechtsgesuchen. Wie im Fall der Witwen haben sich auch hierzu praktisch keine Begleitmaterialien erhalten, wie sie in den Dossiers der Aufnahmen vorhanden sind.
In einer Wechselwirkung zur Bürgerrechtspolitik stand die Handhabung der «Fremdenkontrolle» durch die Erteilung bzw. Verweigerung von Aufenthaltsrechten- und von Niederlassungs- und Gewerbsbewilligungen. Letztere wurden ab 1816 jeweils für sechs Jahre gewährt bzw. verlängert und erlaubten es zugezogenen Personen, gegen eine Gebühr in der Stadt in eigenem Hausstand zu leben, zu arbeiten oder mit einer Gewerbsbewilligung ein eigenes, nichtzünftisches Gewerbe zu betreiben. Durch das Niederlassungsgesetz von 1816 wurde vor allem, um das heimische Handwerk vor Konkurrenz zu schützen, die Erteilung neuer Niederlassungs- und Gewerbsbewilligungen erschwert.
Zu den Niedergelassenen wurden bis 1835 in Basel keine chronologisch fortlaufenden Verzeichnisse oder Register angelegt, die mit den Methoden einer modernen Einwohnerkontrolle jederzeit eine systematische Erfassung möglich gemacht hätten, sondern es wurden nur periodisch (nachweislich in den Jahren 1803, 1816/17, 1828 und 1835) aufgrund aktueller politischer Erfordernisse Erhebungen, sogenannte «Revisionen», durchgeführt. Die dabei erstellten Register stehen in dieser Arbeit als Grundlage für eine quantitative Auswertung von Niederlassungen in Basel zur Verfügung. Erfasst u.a. nach Geschlecht, Herkunft und Beruf wurden in diesen Registern die im jeweiligen Stichjahr in der Stadt Basel anwesenden niedergelassenen männlichen Haushaltvorstände, ledigen Männer und Frauen bzw. Witwen. Personen, die zwischen den Revisionsterminen zu- und fortzogen oder verstarben, tauchen somit nicht auf, so dass wir auf dieser Grundlage zwar für bestimmte Jahre Momentaufnahmen erhalten, nicht aber eine Gesamtzahl der im Untersuchungszeitraum erteilten Niederlassungsbewilligungen eruieren können. Erst ab 1836 wurde das in der vorangehenden Revision im Jahr zuvor angelegte Verzeichnis bis zur grundlegenden Änderung des Niederlassungsrechts zumindest für schweizerische Staatsangehörige bis zur Bundesstaatsgründung 1848 fortlaufend ergänzt.