Die Dissertation beleuchtet die Versorgungspraxis von jugendlichen Kriminaltätern in Basel-Stadt zwischen 1939 und 1965. Basierend auf Jugendpersonalakten, Jugendstrafverfahren und kriminalhistorischen Diskursen wird die strafrechtliche Versorgungspraxis untersucht. Es soll nachvollzogen werden, aufgrund welcher Beurteilungskriterien jugendliche Kriminaltäter und Kriminaltäterinnen in Anstalten und Familien versorgt wurden, und mit welcher Gewichtung die einzelnen Aspekte der Tat und Lebensgeschichte in die Urteilsfindung einflossen. Die federführenden Juristen und Psychiater, die stets bestrebt waren ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Versorgungspraxis einzubringen, begründeten die Versorgungsnotwendigkeit zu Beginn der 1940er Jahre deutlich anders, als dies in den 1960er Jahren der Fall war. Dabei prägte ihr Expertenwissen neben der Versorgungspraxis, auch den öffentlichen Diskurs der Jugendkriminalitäts-Problematik.

Zu Beginn der 1940er Jahre galt ein grosser Anteil der jugendlichen Delinquenten als „abnorm“, so dass sie entweder als „unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher“ oder „verbrecherische Geisteskranke“ in Anstalten interniert wurden. Allgemein führte der Trend der „Psychiatrisierung von Delinquenz“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer vermehrten psychiatrischen Untersuchungstätigkeit im Strafvollzug. In der Folge kam es zu einer Unterscheidung von „normalen“ und „abnormen“ Straftätern. Das primäre Interesse der psychiatrischen Fachpersonen, wie auch der Kriminalisten, galt dabei nicht den Ursachen der Krankheit, sondern den sozialen Auswirkungen und zivilrechtlichen Handlungsfähigkeiten der Betroffenen. Diese Haltung ging auf die gerichtspsychiatrischen Deutungsmuster, wie auch die Liederlichkeits- und Verwahrlosungsdiskurse der Strafjuristen zurück, die von einer biologischen und biographischen Logik ausgingen. Für die Festlegung des Strafmasses orientierte man sich bei „abnormalen Tätern“ folglich nicht mehr am Vergehen, sondern an der Person selbst. Der Lebenslauf mit den einzelnen Delikten wurde als Beweislage für den „abnormen Charakter“ des Angeklagten präsentiert. Dieser Trend der Pathologisierung zeigte sich besonders auffallend im Fall von rückfälligen jugendlichen Straftätern. Im Arbeitskreis der Psychiater galt es als besiegelt, dass minderjährige Rückfällige zu den „geistig am abnormsten“ und „moralisch am defektesten“ gezählt wurden. Bereits vor dem zweiten Weltkrieg hatten sich diese Erkenntnisse so stark etabliert, dass sie von Juristen und Strafvollzugsbeamten kaum noch hinterfragt oder angezweifelt wurden. Es galt als Fakt, dass es sich bei „Gewohnheitsverbrechern“ um „psychisch Defekte“ und „minderwertige Personen“ handelte. Im Verlauf der 1950er Jahre kam es zu einem nachsichtigeren Umgang mit den jugendlichen Delinquenten und der „abnorme“ Kriminaltäter verschwand immer mehr aus den Ermittlungsakten. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre war schliesslich nur noch vereinzelt von Psychopathen die Rede.

Erstgutachter: Prof. Dr. Martin Lengwiler
Zweitgutachter: Prof. Dr. Markus Furrer (PH Luzern)

Bildnachweis: Staatsarchiv Basel-Stadt, Jugendpersonalakte, GA-REG 3e 4-2 (1) (anonymisiert)