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Jan-Friedrich Missfelder und die "Macht der Stimme" in der Frühen Neuzeit
Rückblick auf den AlumniGeschichte Frühlingsanlass vom 28.5.24
Wieso Buchstaben nach Buchstaben tippen, wenn sich eine Nachricht doch so viel schneller gesprochen auf den Weg zur Adressatin schicken lässt? 2022 wurden täglich weltweit rund sieben Milliarden Voice Messages verschickt, Tendenz steigend. Viele ältere Menschen finden sie zwar mühsam, lassen sich diese Nachrichten nicht einfach überfliegen. Im Gegensatz zu der Anreihung von Buchstaben jedoch erweitert die Sprachnachricht mit der Stimme die Botschaft um eine weitere Dimension: Die Stimme, sagt Jan-Friedrich Missfelder, öffnet ein Fenster zur Seele. Mit seiner Betrachtung über dieses Phänomen der Gegenwart eröffnet er am 28. Mai 2024 den Frühlingsanlass der Alumni Geschichte. Jan-Friedrich Missfelder ist SNF-Förderprofessor für Geschichte der Frühen Neuzeit in Basel, die Macht der Stimme sein Forschungsfeld.
Ging man in der Geschichtswissenschaft lange Zeit davon aus, dass mit dem Buchdruck die Epoche der Schriftlichkeit die Stimme verdrängt hat, so sieht man dies heute etwas anders. Stimme und Typographie müssen auch in der Frühen Neuzeit zusammen gedacht werden: Viele gedruckte Produkte, Flugblätter mit Neuigkeiten etwa, waren auf die Stimme ausgelegt. Sie sind daher hybrid zu denken. Nicht selten finden sich darin gar Anweisungen, zu welchen populären Melodien, die Texte vorgetragen werden könnten. Manchmal sind auch eigentliche Regieanweisungen enthalten. Missfelder sieht in diesen Dokumenten eigentliche Voice Messages und nicht selten bergen diese ein unglaubliches Sprengpotential in sich. So erzählt der Geschichtsprofessor von der Suche der Speyrer Obrigkeit nach dem Drucker eines Spottliedes in Basel: Ein Lied, das Kaiser Karl V sehr gefährlich schien, sollte es doch die reformierten, eidgenössischen Stände zu Kriegsvorbereitungen motivieren.
In einem anderen Fall ging es um ein Lied über einen unglücklichen Basler Tuchhändler. Dieser hatte im Streit mit einigen katholischen Pilgern aus den südlichen Niederlanden (also dem heutigen Belgien) etwas heftig auf die Jungfrau Maria geschimpft. Nicht faul zeigten die Pilger den Basler daraufhin im katholischen Sursee an, was unverzüglich zu dessen Hinrichtung führte. In Windeseile verbreitete sich daraufhin ein Lied über den Tuchhändler, der in den Augen der Reformierten zum Märtyrer wurde. Auch wenn die Luzerner Obrigkeit darauf drang, die Verbreitung solcher Lieder zu unterbinden, so liess sich das Singen doch kaum eindämmen. Das gesungene Schmähen und Lästern war nur schlecht zu kontrollieren. Im Falle der Geschichte des hingerichteten Tuchhändlers drohten diese Schmähungen gar das empfindliche Gleichgewicht der eidgenössischen Bündnispolitik zu gefährden. Nicht selten finden sich denn auch Gegenlieder, denn eine Strategie im Kampf gegen ein bestimmtes Lied lag im Übertönen des Vorgängers. Mit seinen Beispielen legt Jan-Friedrich Missfelder dar, welche Macht der Stimme innewohnt, und wie er als Forscher diesem so flüchtigen Medium nachspürt.
Derart spannend sind die Geschichten und Erläuterungen Missfelders, dass sich die Faszination für sein Forschungsthema auf die zahlreich erschienen Geschichtsalumnae und -alumni überträgt. Beim «Apéro riche» mit Blick auf den Rhein geniessen die ehemaligen Geschichtsabsolvent:innen anschliessend einen der ersten warmen Frühlingsabende auf der Terrasse der alten Universität am Rheinsprung.
Text: Isabel Koellreuter
Basel, 19.9.2024