Serbien - Bosnien und Herzegowina 2023 – Migration, Gender, Utopie im postjugoslawischen Erzählen

Im Rahmen des Seminars «Grenzen verschieben: Migration, Gender, Utopie im postjugoslawischen Erzählen» reisten wir, eine Gruppe von 10 Studierenden mit unseren Dozentinnen, Dr. Anna Hodel und lic.phil Tatjana Simeunović, vom 2.–8. Juli über Belgrad und Novi Sad nach Sarajevo, wo wir das Literaturfestival Bookstan besuchten. Das Ziel unserer Exkursion war eine vertiefte Auseinandersetzung mit den im Seminar behandelten Themen der ästhetischen und gesellschaftlichen Grenzverschiebungen in der postjugoslawischen Gegenwartskunst – insbesondere fokussiert auf die Aspekte «Migration, Gender, Utopie». Diesen gerade für das zeitgenössische literarische und filmische Schaffen im postjugoslawischen Raum zentralen Elemente sind wir in Gesprächen mit Film- und Literaturschaffenden nachgegangen, sowie ergänzend während Begegnungen mit Universitätsmitarbeitenden, Forschungsinstitutionen und Besuchen von Museen, Galerien und Community-Zentren.

Unsere Exkursion begann in Belgrad mit einer Führung durch das Muzej Jugoslavije, wo wir einen Einblick in das jugoslawische Erbe und seine Vermittlung erhielten und uns im Gespräch mit Museumsangestellten über die postjugoslawischen Zugänge zum jugsoslawischen Vermächtnis unterhielten.

Am darauffolgenden Tag traten wir unsere Zugreise nach Novi Sad an, um dort den renommierten jugoslawischen und serbischen Filmregisseur Želimir Žilnik und seine Produzentin und Lebensgefährtin Sarita Matijević für ein ausführliches Interview zu treffen. Im Anschluss waren wir mit Darija Dragojlović verabredet, einer in Novi Sad ansässigen Künstlerin, die uns das Kollektiv Šok–ZaDruga vorstellte, in dem sie selbst aktiv ist. Das Kollektiv untersucht durch seine künstlerische Praxis aktuelle politische, künstlerische und ökologische Phänomene. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Einbeziehung junger Kulturschaffender.

Den dritten Exkursionstag begannen wir mit kühler Limonade und einem Gespräch mit Ana Pejović, die uns von ihrer Arbeit für die Friedensorganisation forumZFD berichtete. Wir setzten den Tag fort mit einem Besuch der Ausstellung «LAVIRINT 90ih»im Kulturlokal Miljenko Dereta. Die Ausstellung setzte sich zum Ziel, einen neuen Prozess der Betrachtung der postsowjetischen 90er Jahre einzuleiten und entstand als Ergebnis der Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Partnerorganisationen aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens. Noch voll von spannenden Eindrücken, trafen wir im Anschluss die Lyrikerin Radmila Petrović für ein Interview. Die in Užice (Serbien) geborene Dichterin setzt sich in ihrem Werk unter anderem mit ihrer Kindheit auf dem Dorf, der Familie und der weiblichen Perspektive auf patriarchale Strukturen und den vorwiegend von Männern geführten Kriegen auseinander. Unseren Tag rundeten wir mit einem Besuch der Ausstellungseröffnung zum Fotoband «Moja Bosna» des Kriegsreporters und Fotografen Miloš Cvetković Cvele ab, der sich in seinem Werk den Kriegsjahren in Bosnien und Herzegowina widmet.

Nach einem gemütlichen Abendessen traten wir die eher weniger komfortable Busfahrt nach Sarajevo an, wo wir am Morgen des 5. Juni ankamen. Ein wenig müde, aber dennoch gespannt, trafen wir die Lyrikerin, Dozentin und Journalistin Adisa Bašić zum Tee und einem Gespräch über ihre Arbeit. Adisa Bašić agiert als engagierte Universitätsdozentin zu Literatur, Poesie und kreativem Schreiben und ausserdem als feministische Poetin und Literaturaktivistin an unterschiedlichen Grenzkonstellationen. Am Abend besuchten wir die Eröffnungsveranstaltung des Literaturfestivals Bookstan unter dem Motto «Imagining the Balkans». Titelgebend für die Veranstaltung war die bosnische Übersetzung des gleichnamigen Buches der bulgarischen Historikerin Marija Todorova, die sich im Eröffnungsgespräch zum Entstehen und zur Aktualität ihrer Balkanimaginationen äusserte.

Am nächsten Tag in Sarajevo besuchten wir zuerst die Präsentation des Buches «VERSschmuggel» / «Krijumčarenje STIHOVA» mit dem bosnischen Autor Almin Kaplan und dem schweizerischen Schriftsteller Sascha Garzetti. Darauf trafen wir uns mit Andrea Lešić zum Mittagessen, die uns von ihrer Arbeit als Professorin für Vergleichende (auch südslavisch, also jugoslavisch vergleichende) Literaturwissenschaft an der Universität in Sarajevo berichtete.

Nach dem Besuch der äusserst spannenden Podiumsdiskussion über die «aktuellen Herausforderungen von Balkanidentitäten» mit Marija Todorova, Ivan Čolović, Nerzuk Ćurak und Guido Snel, verbrachten wir den frühen Abend wahlweise am Literaturfestival oder mit der Erkundung der Stadt. Ein weiteres Highlight der Exkursion war unser gemeinsames Abendessen im Restaurant Kod Ene, von dem aus wir, neben bestem Essen und guten Gesprächen, einen atemberaubenden Blick auf Sarajevo genossen.

Am Freitagmorgen besuchten wir das Sprachinstitut an der Universität Sarajevo, wo wir uns mit Jasmin Hodžić über die bosnische Sprache unterhielten. Im Garten des Historischen Museums trafen wir anschliessend Nenad Veličković für ein Interview, der uns von seiner Arbeit als Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, wie auch von seinem Engagement für die Bildung von Jugendlichen berichtete. Im Historijski muzej besuchten wir anschliessen die Ausstellung «Gastarbajterske priče», die in Kooperation mit dem Muzej Jugoslavije in Belgrad entstanden ist. Zum späteren Tagesprogramm gehörten weitere Veranstaltungen des Literaturfestivals – wir hörten zwei Gespräche mit Autor:innen aus Kroatien, Zoran Žmirić und Olja Savičević Ivančević, die ihre neusten Romane präsentierten.

Während ein paar von uns auch am darauffolgenden Tag noch einmal das Bookstan besuchten, trat ein Teil der Gruppe bereits den Heimweg an. Ein wenig nostalgisch aber sehr zufrieden blicken wir auf eine spannende Exkursion zurück, die sowohl aus wissenschaftlicher Perspektive, wie auch im Hinblick auf unser Zusammensein ein voller Erfolg war.

Bericht: Adna Ruhotina, Florence Fausch

Buchhandlung
Essen
Runder Tisch
Glasflaschen
Gruppenfoto
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