Stunde der Frauen, Zeit der Mütter. «Frauenaufbruch» 1945 bis 1949

Das Forschungsvorhaben nimmt die in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegründeten Frauenausschüsse, -zusammenschlüsse und -organisationen zum Ausgangspunkt, um eine neue Perspektive auf die deutschen Frauenbewegungen des 20. Jahrhunderts zu entwickeln. Die Jahre 1945 bis 1949 werden dabei gerade nicht als „Stunde Null“ begriffen: Vielmehr fragt das Projekt danach, wie sich die Frauen des später so genannten „Frauenaufbruchs“ (Kuhn 1986) in ihrer eigenen Geschichte verorteten und wie sie sich auf Vergangenheit bezogen, um eine Zukunft zu entwerfen.

Für die deutschen Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert hat die Historiographie bisher vor allem Traditionsbrüche und ideologische Zersplitterung beschrieben (Gerhard 2008, 2012; Schaser et al. 2019). Obwohl der „Frauenaufbruch“ als missing link zwischen einer „alten“ (mit Höhepunkt um 1900) und einer „neuen“ (nach 1968) Frauenbewegung gilt, ist er bisher nicht systematisch als Teil der Frauenbewegungsgeschichte erschlossen worden (Schüller 2006; Stoehr 2009). Das Projekt greift dieses Desiderat auf, verschiebt aber zugleich die Frage: Anders als oft angenommen, hat die Zäsur des Nationalsozialismus die Geschichte der Frauenbewegungen vor 1933 nicht verschüttet. Vielmehr waren die Akteurinnen selbst in zweierlei Hinsicht um Kontinuität bemüht, was für die historische Untersuchung die Frage der Traditionsbildung ins Zentrum rückt: Dafür ist erstens zentral, wie die beteiligten Frauen sich selbst zeitlich verorteten und Zukunftsentwürfe auf ihre Geschichte bezogen. Wie dabei ein „mütterliches Erbe“ als Verantwortung gegenüber der Vergangenheit angenommen wurde, ist zweitens verknüpft mit Kontinuitäten in der politischen Strategie: Das Vorhaben untersucht, wie es im „Frauenaufbruch“ mit dem Bezug auf ein Kollektiv der „Frauen“ und „Mütter“ gelang, Allianzen über ideologisch-politische Trennlinien hinweg herzustellen. Das Projekt stellt so für die Geschichte der Frauenbewegung anstelle von Fragmentierung den Umgang mit Differenzen ins Zentrum.

Das Projekt ist erstens ein Beitrag zur deutschen Nachkriegsgeschichte, der nicht primär nach der Vorbereitung der Ost-West-Spaltung, sondern nach Gemeinsamkeiten und Zusammenarbeit fragt, auch über das besetzte Deutschland hinaus. Zweitens fokussiert das Projekt gegenüber Traditionsbrüchen auf Kontinuitätsbildung innerhalb der Frauenbewegungsgeschichte im 20. Jahrhundert. Für die „Jahre ohne Geschichte“ (Paul Noack) der Nachkriegszeit wird drittens das Augenmerk auf Geschichtsbezüge und ihre Rolle für Entwürfe der Zukunft gelegt.