Vom 1. bis zum 8. Juni 2014 führte der Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Universität Basel unter dem Titel «Im Grenzland der Imperien» eine Studienreise nach Lublin und Małopolska (Kleinpolen) durch. Der ursprüngliche Plan hatte auch den Besuch von Lviv vorgesehen. Durch die aktuellen Ereignisse in der Ukraine und einer Reisewarnung durch das Schweizerische Aussendepartement wurde aber schweren Herzens auf diesen Teil verzichtet.
Die Exkursion stand in Zusammenhang einer Übung, die im Frühjahrssemester von Prof. Dr. Benjamin Schenk und Sandrine Mayoraz M.A. angeboten worden war. Im Zentrum des Interesses standen neben der Stadtgeschichte von Lublin und Lviv vor allem Fragen nach dem imperialen Grenzland und der Erinnerungskultur in diesen Gebieten. Teilnahmebedingung für die Exkursion war neben der Absolvierung der Übung auch das Halten eines Inputreferates während der Reise, sowie das Erstellen eines Abschlussprotokolls. Dieser Bericht bietet eine kurze Zusammenfassung des 34-seitigen Protokolls.
Über Warschau reisten wir nach Lublin. Zwischen dem Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte und dem Historischen Lehrstuhl der Marie Curie-Skłodowska-Universität in Lublin besteht seit einigen Jahren eine Partnerschaft und so wurden wir freundlich von Prof. Dr. Piotr Bednarz begrüsst und konnten unsere Unterkunft im dortigen Studentenheim beziehen. Bereits am ersten Tag stand der Besuch des Lubliner Schlosses, welches das Historische Museum sowie die bekannten griechisch-orthodoxen Fresken in der Schlosskapelle beinhaltet. Unser Besuch galt vor allem einem Gemälde des Historienmalers Jan Matejko (1838-1893), der «Unia Lubelska» von 1869, in der er den Abschluss der Lubliner Union verewigte, ein für Lublin identitätsstiftendes Ereignis. Der erste Abend klang in einem traditionellen Restaurant in der Altstadt aus.
Der zweite Tag begann mit einem Stadtrundgang unter der Leitung des Lubliner Stadtplaners Hubert Mącik. Zentrum der Führung war der Plac Litewski. Die Grünanlage, welche heute unter anderem ein Denkmal von Josef Piłsudski beherbergt, war bis in die 1920er Jahre Standort der abgetragenen russisch-orthodoxen Kirche, sowie bis 1990 Standort eines sowjetischen Denkmals zum Gedenken an den Grossen Vaterländischen Krieg. Genau wie beim zerstörten Jüdischen Viertel zeigt sich Geschichte in Lublin häufig durch nicht mehr existierende Erinnerungsorte. Dies wurde uns auch am Nachmittag bei einer Stadtführung durch das russische Lublin bewusst. Die Spuren der russischen Herrschaft zwischen den Teilungen Polens und dem Ersten Weltkrieg erschliessen sich im Stadtbild nur dem Eingeweihten.
Ganz im Zeichen des jüdischen Lublin stand der dritte Tag der Exkursion. Den ganzen Tag wurden wir von Wiesław Wysok begleitet, dem Verantwortlichen für Geschichtsvermittlung im Staatlichen Museum Majdanek. Unter dem Leitmotto «Misstraut den Grünanlagen!» - einem Diktum Heinz Knoblochs – führte uns Herr Wysok durch Lublin auf der Suche nach Hinweisen auf die untergegangene jüdische Kultur der Stadt. Der ehemalige jüdische Stadtteil beim Lubliner Schloss, der nach der Deportation der Bewohner gesprengt worden war, ist heute eben eine Grünanlage. Die Erinnerung an das jüdische Lublin oder dessen Fehlen war das Hauptthema des ausführlichen Rundganges durch die Stadt, auf dem wir unter anderem den neuen Friedhof und die Jeschiwa besuchten. Am Nachmittag fuhren wir mit dem Stadtbus ins nicht weit enfternt gelegene Konzentrationslager Majdanek. Beim Besuch des teilweise wiederaufgebauten KZ wurden auch Fragen der Erinnerungspolitik und der Musealisierung des Holocaust angesprochen. Am Ende dieses sehr intensiven Tages besuchten wir den Germanistenstammtisch der UMCS.
Der vierte und letzte Tag in Lublin begann mit einer Besichtigung der Universität Marie Curie-Skłodowska, während dem wir auch von der Prodekanin für internationale Zusammenarbeit, Irmina Wawrzyczek, herzlich begrüsst wurden. Sie klärte uns über die Möglichkeiten eines Erasmus-Aufenthaltes in Lublin auf. Am Nachmittag beschäftigten wir uns mit den Mitteln und Zwecken musealer Geschichtsdarstellung anhand der Ausstellung «Erinnerungsort Lublin» im Kulturzentrum Brama Grodzka – Teatr NN. In der sehr progressiven Ausstellung, die viele von uns beeindruckt hat, geht es um die Erinnerung an das ausgelöschte jüdische Erbe der Stadt. Das Museum kommt ohne eigentliche Artefakte aus und arbeitet stark mit Oral History und Fotografien. So wird zum Beispiel das zerstörte Ghetto mit Ordnerregalen dargestellt, indem jede Adresse einen eigenen Ordner mit allen noch auffindbaren Informationen zu Haus, Bewohnern, etc. enthält.
Mit dem fünften Tag der Exkursion begann die Reise durch Małopolska. Die erste Station, Zamość, ist mit der Bahn zwei Stunden von Lublin entfernt. In einer Stadtführung besichtigten wir die Planstadt aus der Renaissance mit ihrem italienischen Flair und erlebten auf dem Schanzwerk sogar einen Kanonenabschuss. Da die Altstadt von Zamość vor allem vom Tagestourismus lebt, hatten wir diese am Abend beinahe für uns alleine. Mit einem Car ging es am Tag darauf weiter nach Przemyśl, nahe der ukrainischen Grenze. In der sehr schön gelegenen Stadt beschäftigte uns neben der Stadtgeschichte die Grenzlage in historischer und aktueller Perspektive. War in der Festungsstadt Przemyśl während der beiden Weltkriege jeweils die Front durchgelaufen, so liegt sie heute an der EU-Aussengrenze und ist damit Schauplatz der Grenzsicherung durch die EU-Agentur Frontex, sowie von Schmuggel und Menschenhandel. Mit dem Besuch des während der Habsburgerherrschaft gebauten Bahnhofes, der neben Kraków und Lemberg der wichtigste in Galizien gewesen ist, liessen wir uns nochmals in eine Zeit versetzen, in der Przemyśl keine Grenzstadt war.
Der letzte Tag unserer Exkursion war eine kleine Tour de force, die dafür umso spannender ausfiel. Von Przemyśl ging es über Łańcut und Tarnów nach Kraków. Mit dem Car legten wir die Strecken über die neue, kaum befahrene Ost-West-Autobahn zurück, die einem EU-Infrastrukturfonds entsprungen war. In Łańcut besichtigten wir neben dem prunkvollen Landsitz der Familie Potocki die sehr gut erhaltene Synagoge aus dem 18. Jahrhundert. In Tarnów, dem Ort eines Massakers an der jüdischen Bevölkerung auf offener Strasse durch die Nationalsozialisten, sind von der Synagoge nur verbrannte Überreste zu sehen, die heute ein Mahnmal darstellen. Den letzten Abend verbrachten wir schliesslich in der Altstadt von Kraków, wo wir in einem traditionellen galizischen Restaurant zu Abend assen.
Am nächsten Tag ging es mit dem Zug zurück nach Warschau, wo wir nach einer Abschlussdiskussion den Rückflug nach Zürich antraten. Die tadellose Organisation sei an dieser Stelle noch einmal herzlich verdankt. Die ausschliesslich positiven Rückmeldungen durch die Teilnehmer bestätigten den guten Gruppenzusammenhalt, die zeitlich optimale Planung und die spannenden Reiseziele dieser Exkursion.
Bericht von David Aragai